Bei Gewalt und Missbrauch kann und darf es keinen Schlussstrich geben.
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Das in München publizierte Gutachten und die Diskussionen der vergangenen Tage haben in erschütternder Weise schwere Verfehlungen der Vergangenheit im Umgang mit Missbrauch und Gewalt im Bereich der katholischen Kirche Deutschlands aufgezeigt und müssen für die Weltkirche ein neuerlicher Alarm- und Weckruf zum konsequenten Handeln sein.
Statt sich der Betroffenen anzunehmen, die oft unvorstellbar Schlimmes erlebt und durchgemacht haben, wurde jahrzehntelang vertuscht. Das war leider auch in Österreich viele Jahre hindurch so. Als die Mauer des Schweigens 2010 durchbrochen wurde, hat aber die österreichische katholische Kirche im Gegensatz zu anderen Ländern wie Deutschland, Schweiz oder Frankreich gehandelt. Das in Österreich von der Unabhängigen Opferschutzkommission 2010 entwickelte Modell wurde international, vor allem auch in Deutschland, immer als beispielhaft dargestellt. Darauf ist in den vergangenen Jahren immer wieder in Medienkommentaren - etwa in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", aber auch in Stellungnahmen wie jenen der engagierten und verdienstvollen Jesuiten Hans Zollner und Klaus Mertes - hingewiesen worden. Zollner hat bekanntlich in Rom die so wichtige und schwierige Aufgabe des Kinderschutzes und der Prävention für die gesamte Weltkirche übernommen, Mertes wiederum deckte 2010 den lange verschwiegenen Missbrauch im Canisius-Kolleg Berlin auf und leitete mit seinem Mut den längst fälligen Paradigmenwechsel vom vermeintlich gebotenen Schutz der Institution Kirche zum Opferschutz, also zur Aufklärung und Betroffenenhilfe ein.
Auf Ersuchen von Kardinal Christoph Schönborn habe ich also in der Karwoche 2010 unter der Bedingung der völligen Unabhängigkeit die Aufgabe der Opferschutzanwältin übernommen und eine Unabhängige Opferschutzkommission gebildet, für die ich ehrenamtlich so renommierte Persönlichkeiten wie Brigitte Bierlein, Reinhard Haller, Udo Jesionek, Caroline List, Ulla Konrad, Werner Leixnering und Kurt Scholz gewinnen konnte. Uns war bei Beginn unserer Tätigkeit nicht bewusst, welche Dimension diese Aufgabe annehmen würde. Persönlich habe ich hunderte Gespräche geführt, die mich zutiefst bewegten und bewegen. Seither konnten wir rund 2.800 Entscheidungen treffen und den Betroffenen 33,3 Millionen Euro an finanziellen und therapeutischen Hilfeleistungen zuerkennen. Seit einigen Jahren gibt es zusätzlich auch eine staatliche Heimopferrente, zumal es leider auch in vielen öffentlichen Heimen und Einrichtungen zu Gewalt und Missbrauch kam. Geld kann nur eine, wenn auch für viele wichtige, Geste sein und das erlittene Leid nie abgelten. Die Anerkennung der Opfer und ihrer Menschenwürde ist das Wichtigste. Entscheidend sind nun vor allem die breite öffentliche Bewusstseinsbildung und die Prävention, damit Gewalt und Missbrauch künftig hintangehalten werden. Jeder einzelne Betroffene ist einer zu viel. Jede und Jeder hat ein Schicksal, dem die besondere Zuwendung gelten muss. Es kann und darf keinen Schlussstrich geben. Dieser Daueraufgabe fühle ich mich verpflichtet.