Ein Glück, dass es den Artikel 122 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU gibt, also in einem Teil des Lissabonner Vertrags. Auf ihn berufen sich die Finanzminister der EU bei der Etablierung eines Hilfsmechanismus für Eurostaaten, die der Zahlungsunfähigkeit entgegentaumeln.
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Er sticht damit die Artikel 123 und 125, die bisher für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Disziplinierung der Euroländer zuständig sein sollten. Die Pleite Griechenlands und die Spekulationen gegen weitere mögliche Absturzkandidaten wie Portugal und Spanien sowie den Euro selbst wurden kurzerhand zu einer Art Naturkatastrophe erklärt. Denn nur in diesem Fall dürfen die Euroländer einander helfen.
Das tun sie jetzt de facto durch die Ausgabe einer gemeinsamen Euro-Anleihe. Diese wird von einem "Special Purpose Vehicle" auf den Markt platziert. Gemeint ist eine spezielle Finanzierungsgesellschaft, die über Schuldverschreibungen zum günstigsten Zinssatz Geld aufnimmt, den der Markt ihr für die gemeinsame Haftung der Eurozone über bis zu 440 Milliarden Euro gibt. Mit dem lukrierten Geld kann die Spezialgesellschaft dann etwa portugiesische oder spanische Anleihen zum Vorzugszinssatz von rund fünf Prozent kaufen, falls die Länder am Finanzmarkt mehr bezahlen müssten.
Der Clou an der Sache ist, dass die Zweckgesellschaft die an sich wertlosen Papiere dann der EZB als Sicherheit für frisches Geld hinterlegen kann. Mit diesen Mitteln können dann erneut Ramschanleihen aus Ländern am finanziellen Abgrund gekauft werden, die dann wieder der EZB als Sicherheit für frisches Geld hinterlegt werden könnten.
"Hebelwirkung" nennen die EU-Finanzexperten dieses Karussell, das den Umfang des Hilfsmechanismus am Ende weit über die 440 Milliarden Euro hinausschießen lassen könnte. Wie weit, traut sich noch niemand zu schätzen. Die Finanzminister müssten die Details des Hebels erst noch besprechen, hieß es lediglich.
Der Hilfsmechanismus ist offenbar ein weiterer Weg für die EZB, um neue Euros in den Markt zu pumpen. Denn EZB und Euro-Notenbanken haben auch schon direkt damit begonnen, Anleihen mehr oder weniger maroder Euroländer aufzukaufen. Dabei steht in Artikel 123 des EU-Grundrechts, dass "der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln" der Mitgliedsländer durch EZB und Notenbanken verboten ist. Artikel 125 besagt, dass weder die EU noch ein Mitgliedsland für die Schulden der eben angeführten Schuldner haften oder eintreten dürfen.
Und bisher wurde davon ausgegangen, dass durch die beiden Artikel eine Haftungsgemeinschaft für Euroländer, die auch noch die EZB einspannt, rechtlich schlicht unmöglich ist. Inzwischen sieht das scheinbar nicht einmal mehr der sonst ultrastrenge deutsche Bundesverfassungsgerichtshof so eng. Am Samstag hatte er die Milliardenhilfen für Griechenland unter Verweis auf die Nachteile einer griechischen Pleite für Deutschland im Schnellverfahren durchgewunken.
Dabei gilt manchen die Griechenlandhilfe als Sündenfall: Denn der Disziplinierungsgedanke des Artikel 125, dass jeder seine Schulden selbst zurückzahlen muss, ist an den griechischen Haushaltsjongleuren einfach abgeprallt.
Und daher greifen für die gesamte Eurozone jetzt die "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignisse" des Artikel 122. Die außergewöhnlichen Umstände seien eingetreten, finden die Finanzminister: Spanien und Portugal hätten sich vor vier, fünf Tagen in genau derselben Situation befunden wie Griechenland vor rund sieben Wochen, hieß es in Kreisen der EU-Kommission.