Bei einer Veranstaltung in Wien sind die Differenzen zwischen Paris und Wien in der Migrationspolitik offen zutage getreten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Während Kanzler Sebastian Kurz in Budapest beim Treffen der Visegrád-Staaten war, empfing Europaminister Gernot Blümel seine französische Amtskollegin Nathalie Loiseau in Wien.
Beide waren am Podium einer Europa-Veranstaltung in der Oesterreichischen Nationalbank und Gernot Blümel erinnerte in seinem Eingangs-Statement daran, wie der Außenminister zu Zeiten des Wiener Kongresses 1815, Charles Maurice de Talleyrand-Perigord, den österreichischen Kanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich, den britischen Vertreter Robert Stewart Viscount Castlereagh und andere Vertreter daran erinnerte, dass Stabilität und Frieden in Europa ohne Frankreich nicht zu haben sei. Talleyrand ist im heutigen Frankreich nicht eben der beliebteste Politiker der Geschichte, denn er war durch und durch Opportunist. Beim Wiener Kongress gelang es ihm freilich, Frankreich nach den Wirren der Revolution und den desaströsen Feldzügen Napoleons wieder ins Konzert der Nationen zurückzuführen.
"Die Welt ist nicht zu retten"
Die französische Europaministerin hat den historischen Vergleich sicher gerne gehört. Doch die Harmonie zwischen Blümel und Loiseau war dennoch endenwollend. Differenzen gab es vor allem beim Migrationsthema. Blümel betonte in seinem Statement einmal mehr die Notwendigkeit des Schutzes der EU-Außengrenzen, Diskussionen über Quoten seien "nicht sinnvoll" oder vielleicht "in einem zweiten, dritten Schritt" - nachdem die Außengrenzen gesichert sind. Die Europäische Union habe sich in der Quotendiskussion tatsächlich ins Eck manövriert, es sei aber inakzeptabel, dass einige EU-Staaten "überhaupt keine" Flüchtlinge aufnähmen - und zugleich mit dem "Schüren von Ängsten gegen Migranten Wahlkampf" betrieben. Die Flüchtlingszahlen hätten sich seit 2015 drastisch reduziert, "Bewahren wir ruhig Blut, bleiben wir menschlich."
Außenministerin Karin Kneissl erteilte in ihrem Referat einem idealistischen Zugang eine Absage: "Das war in meinem Leben ein schmerzlicher Reifeprozess: Ich habe die Einsicht gewonnen, dass die Welt nicht zu retten ist. Und es ist auch nicht unsere Aufgabe, die Welt aus den Angeln zu heben. Unsere Aufgabe ist es, innerhalb des beschränkten Radius, den wir beeinflussen können, korrekt und verantwortungsvoll zu handeln. Und zwar so, dass der Citoyen sich frei und in Sicherheit in einem pluralistischen System entfalten kann."
In der Frage der Notwendigkeit eines starken Grenzschutzes besteht zwar Einigkeit, das allein sei aber nicht genug. Es gehe auch um die Bekämpfung der Fluchtursachen. Man müsse den "jungen mutigen Menschen", die versuchen würden, sich nach Europa durchzuschlagen, eine Perspektive in ihren Heimatländern bieten. Europa müsse viel mehr Präsenz in Afrika zeigen, auch um die Länder dort zu unterstützen, die Flüchtlinge aufnehmen, meinte Loiseau. Dafür müsse man aber auch mehr Geld in die Hand nehmen, und bei dieser Frage gebe es mit Österreich "gewisse Differenzen". Auch bei der Frage um die Errichtung sogenannter Hotspots (also Flüchtlingslager, die von der EU finanziert und möglicherweise auch betrieben werden) außerhalb der EU gibt es Differenzen zwischen Wien und Paris: Europaministerin Loiseau sagte, dass man dazu die Länder, in denen Flüchtlingslager errichtet werden, als sichere Drittstaaten qualifizieren müsste - was kein einfaches Unterfangen sei: "Es ist nicht einfach zu definieren, was ein sicherer Drittstaat ist. Ich bin mir dessen nicht bewusst, dass diese Bedingungen erfüllt sind." Es sei aber sinnvoll, in Ländern wie im Niger oder im Tschad Lager zu errichten, in denen man Asylwerber interviewen könnte und den Menschen bereits dort klarmachen könnte, dass sie entweder null Chancen hätten, in Europa Asyl zu erhalten, beziehungsweise Asylberechtigen den gefährlichen Weg durch die Sahara und übers Mittelmeer ersparen könnte und sie gleich direkt von dort nach Europa bringen könnte.
Das Werben Wiens für einen Beitritt der Länder des Westbalkan zur Europäischen Union stieß bei Ministerin Louiseau auf Skepsis: "Wollen wir aus unser unmittelbaren Nachbarschaft Instabilität importieren oder Stabilität dorthin exportieren? Wir brauchen eine Beitrittsperspektive für den Westbalkan", meinte Gernot Blümel. Darauf Louseau: "Die Zukunft des Balkan liegt in Europa. Es geht aber darum, dass dort weiter gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgegangen wird." Und es müssten auch die Voraussetzungen in den Unions-Strukturen geschaffen werden, bevor eine weitere Erweiterung in Angriff genommen werden könne.
Sozialer Schutz
Das Motto der österreichischen Präsidentschaft, "Ein Europa, das schützt", sei durchaus gut gewählt, schließlich habe der heutige französische Präsident Emmanuel Macron mit einem ähnlichen Motto die Wahl gewonnen, sagte Louiseau. Auf eine entsprechende Frage der "Wiener Zeitung" meinte sie aber, dass sie diesen Schutzbegriff weiter gefasst sehen würde: Da gehe es auch um den sozialen Schutz der europäischen Bürger - aber auch um militärischen Schutz in den Fragen der nationalen Sicherheit. Ein weiterer Aspekt sei der Schutz von Bürgerrechten und der Privatsphäre in Zeiten immer weiter gehender Digitalisierung - die Europäische Union, so Louiseau, würde gerade entsprechende Regulierungen auf den Weg bringen.
Bei einer Pressekonferenz sprach ein französischer Journalist von "Le Monde" Louiseau auf die immer wieder von österreichischer Seite betonte "Brückenfunktion" zwischen Ost und West an. Man könne doch auch direkt mit Ungarns Viktor Orban sprechen, meinte er. Louiseau: "Mir ist immer noch lieber, wenn jemand eine Brückenfunktion übernehmen will anstatt eine destruktive Rolle." Und Österreich habe sich stets als Diskussionsplattform präsentiert, meinte sie. Sie erinnerte an den Besuch Emmanuel Macrons in Salzburg zu Zeiten von Kanzler Christian Kern, bei dem auch die Staats- und Regierungschefs der Slowakei und Tschechiens dabei waren. Und Louiseau erinnerte auch daran, dass der erste Besuch von Kanzler Sebastian Kurz diesen nach Paris geführt hatte.