Visegrad-Vier und Südachse: Die EU zersplittert zusehends in geografische Interessensgemeinschaften.
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Das alte Konzept vom "Europa der Regionen" hat das Zeug, ein voller Erfolg zu werden: Allerdings nicht so, wie man sich das in Brüssel ursprünglich erhofft hatte. Denn eigentlich sollten die EU-Regionen nationale Grenzen ignorieren, Bürgernähe signalisieren und subnationale Eigenständigkeiten unterstützen. Europa sollte föderaler werden. Alles, was nicht in Brüssel entschieden werden müsse, müsse in die Zuständigkeit lokaler Strukturen fallen, hieß es.
Das, was nun Gestalt annimmt, deutet vielmehr in Richtung Zersplitterung. Federführend sind die Visegrad-Vier, ein Staatenbund bestehend aus Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Polen, die in Sachen Flüchtlingsquoten den Schulterschluss vollzogen haben und beim Gipfel am Freitag in Bratislava weiter in die Offensive gehen wollen. Mit der Slowakei als EU-Vorsitzland werde man die müde Gemeinschaft regelrecht aufmischen, heißt es.
Doch auch die "Achse der Mittelmeerländer" macht mobil - Italien, Frankreich und Griechenland. Diese Gemeinschaft richtet sich gegen die von Deutschland betriebene Sparpolitik. Nicht erst seit gestern stehen einander Austeritätsbefürworter und -gegner gegenüber. Die Frage treibt einen Keil zwischen den "Kern" Europas - Deutschland und Frankreich. Und auch hier besteht die Gefahr, dass sich die finanzpolitisch Marginalisierten gemeinsam absentieren und, wie die Visegrad-Vier, zu einer eigenen Quasi-Institution werden.
Während die Briten nicht nach Bratislava kommen, treffen sich die regionalen Neigungsgruppen vermehrt separat. Die Feinde des Merkelschen Sparkurses kamen zuletzt in Athen zusammen - der Hauptstadt des europäischen Budgetsünders Nummer eins -, um sich für den Gipfel am Freitag zu wappnen. Gastgeber war mit Premier Alexis Tsipras ein Mann, der vor gar nicht allzu langer Zeit als der "Totengräber der EU" galt.
Die Visegrad-Vier wiederum eint die Neubesinnung auf den Nationalstaat und die Ablehnung einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik. Zuletzt traf man sich in Polen, um einen gemeinsamen Schlachtplan auszuarbeiten. Die Ursache für Zuwanderung sei nicht Krieg, sondern dass die EU "reich, aber schwach" sei, lautet die Analyse. Deshalb sei eine EU-Armee nötig. Gemeinsames Ziel ist es, die Idee einer Aufteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten zu Grabe zu tragen. Er halte es für "kontraproduktiv", dass die EU-Kommission "diesen toten Entwurf zu dauerhaften Quoten erneut auf den Tisch legt", meinte Tschechiens Premier Bohuslav Sobotka, der in seinem Land in Migrationsfragen als geradezu liberal gilt. Polen tritt für ein "Europa der Vaterländer" ein, was nichts anderes heißt, als dass den Nationalstaaten wieder mehr Raum geboten werden soll.
Dabei ist in Vergessenheit geraten, dass Österreich, 2001 wegen der EU-Sanktionen in der Defensive, ebenfalls ein Staatenbündnis schmieden wollte. Zuerst hieß das Projekt "strategische Partnerschaft", dann "regionale Partnerschaft". Bundesgenossen sollten Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und Polen sein. Geworden ist aus der Sache, wie man sieht, nichts.