Spionageaffäre löste in Luxemburg vorgezogene Parlamentswahl aus.
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Brüssel/Luxemburg. Es war eine seiner letzten Pressekonferenzen in dieser Funktion. Und es war wieder einmal weit nach Mitternacht. Doch Jean-Claude Juncker, damals Vorsitzender der Eurogruppe, zeigte bei dem Auftritt vor einigen Monaten kein Mitleid - weder für die Finanzminister, die in Brüssel die nächste nächtliche Krisensitzung hinter sich gebracht hatten, noch für die seit Stunden wartenden Journalisten. So sei halt das Leben, stellte der Politiker fest. "Spät in der Nacht ist spät in der Nacht. Und morgen wird die Sonne wieder scheinen."
Damals brachte der Tag tatsächlich gute Nachrichten für Athen, in Form einer Zusage zu finanziellen Hilfen. Auf Zuspruch anderer Art hofft nun Juncker selbst. Ob er ihn erhält, wird sich ebenfalls in der Nacht weisen - am Sonntag. Da wird nämlich das Ergebnis der Parlamentswahl in Luxemburg bekannt sein. Und es wird klar sein, ob Juncker in dem kleinen Großherzogtum weiterhin das Amt des Ministerpräsidenten ausüben wird.
Als der Premier und frühere Finanzminister im Jänner 2013 nach mehr als acht Jahren die Leitung der Eurogruppe niederlegte, begründete er dies unter anderem damit, dass er sich wieder mehr den Tätigkeiten als Regierungschef in seiner Heimat widmen wolle. Viele Jahre war der Miterfinder der Gemeinschaftswährung vor allem in der Europapolitik zu Hause, war zwischen Brüssel und anderen Hauptstädten gereist, vermittelte zwischen den Mitgliedstaaten, drängte die Länder dazu, nationale Dünkel zu überwinden. Weniger Aufmerksamkeit schien er so manchen Belangen in Luxemburg zukommen zu lassen - und der Preis dafür ist das sonntägliche Votum.
Juncker zieht immer noch
Es ist nämlich eine vorgezogene Wahl, der sich Juncker stellen muss, nachdem er über eine bizarre Spionageaffäre gestolpert war. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befand, dass der Premier seine Aufsichtspflichten gegenüber dem Geheimdienst SREL vernachlässigt habe. Der dürfte jahrelang ein Eigenleben geführt haben: Mit Methoden, die in einigen Fällen "einer Geheimpolizei würdig" gewesen seien, habe die Behörde illegale Abhöraktionen gegen Politiker aber auch einflussreiche Bürger geführt. Ihren Beamten wurden auch noch dazu die Annahme und Zahlung von Schmiergeldern sowie Veruntreuung vorgeworfen. Und obwohl Juncker selbst Opfer der Machenschaften des von ihm kontrollierten Nachrichtendienstes war, habe er nicht entsprechend auf die Missstände reagiert.
Nach dieser Parlamentsdebatte, im Sommer, musste der Premier jedoch reagieren. Statt aber zurückzutreten, schlug er vorgezogene Neuwahlen vor. Es könnte die für ihn richtige Entscheidung gewesen sein. Denn der in der Bevölkerung beliebte Juncker hat gute Chancen, in seinem Amt bestätigt zu werden.
Nicht umsonst setzte seine Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) in der Wahlkampagne ganz auf Bild und Präsenz des Ministerpräsidenten. Einen anderen als diesen haben junge Luxemburger auch kaum erlebt: Seit Anfang 1995 ist der Sohn eines Hüttenwerkspolizisten im Premiersamt, das er zeitweise mit der Funktion des Finanzministers und Vertreters seines Landes beim Internationalen Währungsfonds verknüpfte. Doch schon seit 1982 war der nun 58-jährige Jurist in der luxemburgischen Regierung, unter anderem für Arbeit und Soziales zuständig.
Die soziale Komponente mahnte Juncker immer wieder auch im Kreis seiner europäischen Amtskollegen ein, wo er mittlerweile der dienstälteste Regierungschef ist. Trotz allem Drängen auf Sparsamkeit bei der Haushaltsplanung prangerte er beispielsweise Tendenzen zu Lohndumping an. So konnte er Berlin für dessen Exportstrategie mittels Senkung deutscher Gehälter kritisieren. Das hinderte ihn auf der anderen Seite nicht daran, den Finanzplatz Luxemburg zu verteidigen - was dem Land, ähnlich wie Österreich, den Vorwurf einbrachte, den europäischen Kampf gegen Steueroasen nicht mitzutragen.
Ein rarer Europa-Enthusiast
Dennoch wird Juncker als einer der mittlerweile rarer gewordenen EU-Enthusiasten unter den Spitzenpolitikern Europas angesehen. Er wird auch immer wieder ins Gespräch gebracht als Anwärter für einen der EU-Spitzenposten, die im kommenden Jahr zu besetzen sind. Für einen davon, den des Ratspräsidenten, hatte Juncker schon vor fünf Jahren Interesse bekundet. Und es soll ihn äußerst gekränkt haben, dass damals Herman Van Rompuy den Job bekommen hat. Vielleicht betont Juncker jetzt auch deswegen, dass er nun in erster Linie an seiner Arbeit in Luxemburg interessiert sei.