Der spanische Geigenbauer David Bagué i Soler erklärt, wie er seinen Instrumenten eine Seele gibt.
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"Wiener Zeitung": Señor Bagué, Sie sind Geigenbauer - und ein sehr erfolgreicher noch dazu. Erzählen Sie uns, wie man die perfekte Geige baut?
David Bagué: Meine erste Geige habe ich im Alter von 12 Jahren konstruiert - und seit 37 Jahren mache ich nichts anderes. Aber ich werde euch nicht erzählen, wie man eine Geige baut, denn das kann man im Internet nachlesen. Ich möchte über die persönliche Empfindung sprechen, die man haben muss, um Instrumenten eine Seele zu geben; über das Gefühl der Grandiosität, das in vielen Objekten zu finden ist, die bereits geschaffen wurden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Als Beispiel der menschlichen Fähigkeit, etwas mit Seele zu schaffen, zu kreieren, nenne ich hier einen Ferrari. Niemanden lässt ein Ferrari kalt. Genauso, wie man auch einer Stradivari oder der Pietà von Michelangelo nicht gleichgültig gegenüber steht. Diese Tendenz zum Perfektionismus, die überall und zu jeder Zeit gefunden werden konnte und auch heute noch gefunden werden kann, ist eine humanistische Einstellung, die den Menschen erlaubt, ihr Bestes zu geben. Ein Ferrari ist nun einmal ein grandioses Kunstwerk, zwar voll von Technologie, aber auch voll von Kunst.
Stradivari, Pietà & Ferrari - alle drei genannten Beispiele kommen aus Italien . . .
Italien ist weltweit das einzige Land, das fähig ist, solche Produkte hervorzubringen.
In Italien liegt außerdem auch Cremona - ein sehr bedeutender Ort für Sie?!
Cremona ist für jeden Geigenbauer das Mekka. So ist das schon seit dem 16. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert wurde Cremona zum Epizentrum des Goldenen Zeitalters der Geigenbauer, dank Künstlern wie Amati, Guarneri und Stradivari. Diese Verbindung mit der Vergangenheit kann dort auch heute noch gesehen werden. Als Geigenbauer kann man in Cremona dieser Zeit näher kommen, so wie in vielen anderen italienischen Städten auch. Wenn man in Cremona geboren wird und in der Ästhetik dieser Stadt aufwächst, bekommt man automatisch ein Feingefühl für Schönheit - und dieses Feingefühl ist notwendig, um ein derart schönes Produkt wie eine Geige zu kreieren. Zumindest lernte ich von der Ästhetik und der Gesellschaft, die Cremona hervorgebracht hat.
Darum waren Sie auch dort . . .
Als 17-Jähriger kam ich erstmals nach Cremona. Das war für mich nicht nur ein bedeutender artistischer Moment in meinem Leben, sondern vor allem ein emotionaler Schock. Mit 17 Jahren dein Zuhause, deine Stadt zu verlassen, ist ohnehin bereits ein einschneidendes Erlebnis. Wenn du dann aber sogar nach Cremona kommst, um dort Instrumente zu bauen, ist das logischerweise das Non plus ultra. Das war eine Lebenserfahrung, die mich noch heute stark mit dieser Stadt verbindet, nicht nur weil ich Cremona regelmäßig besuche. Es ist eine Nabelschnur, die jeden Geigenbauer dieser Welt mit dieser kleinen italienischen Stadt verbindet.
Warum wird man Geigenbauer?
Nicht ich habe das Geigenbauen gefunden, sondern das Geigenbauen hat mich gefunden, als ich noch sehr jung war. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, wenngleich meine Großeltern Kunsthandwerker waren. Sie wussten bereits, wie man mit der Materie Holz umgeht - und das habe ich wahrscheinlich in meinen Genen mitbekommen. Mein Vater hatte eine Geige gekauft, damit jemand bei uns zuhause lernt, dieses In-strument zu spielen, nicht um einen Geigenbauer großzuziehen. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, in dem ich entschieden habe, Instrumente bauen zu wollen. Ich hatte ein Gefühl der Offenbarung: Mein ganzes Leben würde ich der Konstruktion dieser wunderschönen Objekte widmen.
Wer hat Ihr Leben am meisten beeinflusst?
Die wichtigsten Mentoren, die es mir ermöglicht haben, Geigenbauer zu sein, waren logischerweise meine Eltern. Zudem gab es ein ganz entscheidendes Ereignis in meinem Leben: Ich habe Ruggiero Ricci kennen gelernt, einen der größten Geigenspieler aller Zeiten. Damals war Ricci Professor am Mozarteum in Salzburg und beinahe am Ende seiner Karriere. Dennoch konnte ich noch gut zwanzig Jahre lang mit ihm zusammenarbeiten. Außerdem hatte ich das Vergnügen, mit dem weltberühmten Geiger Leonadis Kavakos zu arbeiten. Und ich habe, gemeinsam mit den Geigenbauern Stephen Peter Grainer und Florian Leonhart, die Ehre, dass Meister Kavakos unsere Instrumente sein Eigen nennt.
Ihre Geigen sind sehr exklusiv, genauso wie der Preis . . .
Es ist außergewöhnlich, dass es in der schnelllebigen Welt von heute noch immer Menschen gibt, denen etwas exklusiv für sie Produziertes wichtig ist. Und das, obwohl sie wissen, dass sie lange darauf warten müssen, da meine Arbeit nicht in Eile gemacht werden kann. Der Kunde und ich schaffen gemeinsam etwas, das noch nicht existiert. Das ist ein Akt des Glaubens und nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem.
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie eine Ihrer Geigen nach mehreren Monaten intensiver Arbeit an einen Klienten übergeben?
Die Übergabe der Geige ist die Klimax eines Projektes. Auf emotionaler Ebene ist es ein unschlagbares Gefühl, dass jemand so sehr an dich und dein Können glaubt, obwohl das Produkt noch überhaupt nicht existiert. Das kann ich kaum in Worte fassen. Diesen Trieb, diese Passion muss man fühlen. Je mehr Glaube an dich diese Person hat, desto mehr bist du ihr auch verpflichtet. Das ist wirklich ein Moment der Akkumulation, in dem die Menschheit miteinander verschmilzt, da sie an das gleiche Projekt glaubt. Und der Ausdruck dieser Verschmelzung ist die Übergabe des Produkts. Das macht sicher die Magie dieses Moments aus. Eine mehrmonatige Reise kommt zu einem Ende, die man gemeinsam unternommen hat. Es gibt daher keinen Überraschungsmoment, sondern einen Moment der Befriedigung.
Wie denken Sie über die Massenproduktion von Geigen in der heutigen Zeit?
Für die Menge an Menschen, die Musik machen wollen, ist es absolut notwendig, dass Geigen en masse produziert werden. Wir können allerdings nicht erwarten, dass Industrieprodukte den gleichen immateriellen Wert haben, wie jene Geigen, die von Hand gefertigt werden. Eine handgemachte Geige ist viel mehr als nur ein funktionelles Objekt.
Nämlich?
Handgemachte Geigen waren seit ihrem Beginn schon ein Objekt des Fetischismus. Der Mensch ist ein Fetischist - auch oder vor allem mit Objekten und Kunstwerken. Das hilft einem Kunstwerk natürlich, Wert zu geben. Wenn man von Geigen spricht, muss man von Kunstwerken sprechen. Geigen sind nicht nur Handwerksprodukte. Sie sind weltweit in den wichtigsten Museen ausgestellt, gleich neben den gemalten Meisterwerken.
Was ist denn nun das Geheimnis von Stradivari & Co?
Seit 300 Jahren versuchen wir unter anderem, das Geheimnis dieser Instrumente zu lüften. Nachdem ich nun 37 Jahre lang Geigen gebaut habe, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, worin das Geheimnis der großartigen Instrumente von Stradivari und anderen Meistern dieser Zeit liegt: Es ist die persönliche Haltung dem gegenüber, was man tut. Man muss nach der Seele suchen, was auch immer man tut. Und das ist im 18. Jahrhundert sicherlich öfter passiert als heute.
Wieso das?
Damals war die Kirche die treibende Kraft von allem. Egal ob man an sie geglaubt hat oder nicht - die Kirche war präsent. Darum war die geistige Haltung der Menschen im Allgemeinen viel lebendiger als heute. Die emotionale Einstellung der Menschen bewirkte, dass ihr Schaffen über den eigentlichen Zweck hinaus ging. Das ist absolut kein technisches Geheimnis.
In Ihrem Atelier fühlt man sich in die Epoche des 18. Jahrhunderts zurückversetzt. Es ist hier ein bisschen wie in einer Oase - im Gegensatz zur Hektik und Schnelllebigkeit, die Barcelona im 21. Jahrhundert an den Tag legt.
Um diese Art der Gedanken zu entwickeln, muss ich mir meine eigene innere Welt konstruieren. Und in meiner kleinen Kapsel versuche ich, mich mit Objekten zu umgeben, die eine Geschichte und eine Seele haben. Die heutige Gesellschaft ist zu schnelllebig. Und obwohl ich diese Schnelllebigkeit kenne, ist es für mich wichtig, meinen inneren Rhythmus zu behalten. Der innere Rhythmus eines jeden gibt vor, was man tut und wie man es tut. Wenn du also die Fähigkeit hast, diesen Rhythmus zu finden, diesen Takt, der vorgibt, wie du deine Zeit nutzt, bist du vor dem Chaos sicher.
Worin liegt der Unterschied zwischen einer Bagué und den anderen Geigen?
Das müssen Sie die Benutzer fragen, warum meine Geigen anders sind. Instrumente zu bauen ist für mich keine Arbeit, sondern mein Leben. Ich habe das immer mit Leidenschaft gemacht, mit Hingabe und Liebe - und darum glaube ich auch, dass meine Geigen über ihren eigentlichen Zweck hinaus gehen. Ich denke, das kann man spüren.
Gewissermaßen haben Sie die Frage gerade doch beantwortet.
Vielleicht ist das der Unterschied. Für mich ist die Großartigkeit nicht in der Technik zu finden, sondern in der Emotion.
Und wie bleibt diese Emotion für Sie über all die Jahre erhalten?
Ich muss berührt werden, um etwas zu schaffen. Nur so kann ich meine Instrumente entwerfen. Diese Ergriffenheit bleibt aufrechterhalten für die Liebe; die Liebe für das, was man tut, für die Ernsthaftigkeit des Handwerks. Heute passiert das fast nicht mehr. Wir sind sehr trivial geworden, nicht wahr? Für mich ist mein Handwerk wie eine Reli- gion. Es ist nicht gerade so, dass die gesamte Menschheit davon abhängt, was ich tue, aber wenn wir alles, was wir tun, egal was, mit Genauigkeit und Liebe tun, würde es uns sicher besser gehen.
Womit haben Geigenbauer am allermeisten zu kämpfen?
Geigenbauer haben mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Eine Geige zu bauen ist per se schon eine Herausforderung, denn es handelt sich um ein sehr anspruchsvolles Gewerbe. Neben dem Talent, das selbstverständlich ist für dieses Handwerk, braucht man jede Menge Konzentration und eine eigene Konstruktionstechnik.
Klarerweise braucht man aber auch perfektes Holz. Das Baumaterial muss nicht automatisch schön aussehen, um eine schöne Geige daraus zu konstruieren. Wichtig ist, dass das Holz exzellent ist und eine der wichtigsten Charaktereigenschaften von exzellentem Holz ist das Alter. Jedes Material hat einen Alterungsprozess - und diesen muss man verstehen lernen. Man kann kein Instrument aus einem Holz bauen, das gerade geschnitten wurde. Zu Beginn einer Geigenbauer-Karriere sollte also in sehr altes Holz investiert werden. Aufgrund der hohen Kosten stehen viele vor der Wahl: entweder man kauft es oder man baut keine Geigen. Das ist oftmals das erste Handicap, wenngleich ein Problem, das mit Geld gelöst werden kann. Es gibt aber andere Probleme, wie etwa fehlendes Talent. Das kann man mit Geld nicht lösen.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Wir sollten jeden Tag gestalten, als wäre es der letzte, um unser Bestes zu geben. Wir sollten nicht unbemerkt durchs Leben gehen und erlauben, dass unser Leben einen Rhythmus annimmt, den wir nicht kontrollieren können.
Hören Sie damit auf, Geigen zu bauen, sobald Ihnen das perfekte Objekt gelungen ist?
Ich werde niemals in den Ruhestand gehen. Niemals. Mein Leben soll auf der Werkbank enden. Absolut. So möchte ich abtreten. Die Vorstellung ist zu Ende.
Martin Zinggl, geboren 1983, hat Kultur- und Sozialanthropologie studiert und lebt als Autor und Dokumentarfilmer in Wien. 2013 erschien sein Buch "Warum nicht Mariazell? Als Ethnologe in Tuvalu." (Abera Verlag).
David Bagué i Soler, geboren 1964 in Barcelona, ist Geigenbauer. Er lebt und arbeitet in seinem Atelier in Gràcia (Szene- und Künstlerviertel Barcelonas), wo er praktisch sein ganzes Leben verbrachte - bis auf die Lehrzeit im italienischen Cremona am Istituto Professionale Internazionale per l’Artigianato Liutario e del Legno. Später arbeitete er in Cremona im Atelier von Geigenbauer Mathijs Adriaan Heyligers.
Die erste Geige baute Bagué im Selbststudium mit zwölf Jahren und fühlte sich seitdem dazu berufen, "Luthier" zu sein. Heute gilt der mit dem Spitznamen "lo spagnoletto" ("der kleine Spanier") genannte Bagué als Pionier der zeitgenössischen spanischen Luthiers. Als Vize-Präsident des Gremio de Luthiers y Arqueros de España (GLAE) arbeitet Bagué auch mit dem Musikmuseum in Barcelona zusammen. Für den Bau einer Geige braucht der "Kunsthandwerker", wie sich Bagué selbst bezeichnet, rund vier Monate. Er hat eine Warteliste von über zwei Jahren.