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Ein flämischer Messias

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

Für Bart De Wever ist die Kommunalwahl in Antwerpen ein Sprungbrett zur Autonomie.


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Antwerpen. Früh am Samstagmorgen scheint es, als warte die N-VA in Antwerpen-Berchem auf den Messias. Aufgeregt stehen die örtlichen Mitglieder der "Neu- Flämischen Allianz" auf der noch unbelebten Hauptstraße, gekleidet im satten Gelb und Schwarz, den Farben der flämischen Fahne. Das Kampagnematerial für die Tour durch das Viertel im Westen der Stadt wird in ein Lastenfahrrad geladen, nur der Mann, um den sich alles dreht, lässt auf sich warten: Bart De Wever, Hoffnungsträger und Galionsfigur, als Vorsitzender bestätigt mit mehr als 99 Prozent der Stimmen.

Fast wirkt es beiläufig, als De Wever, der sich gerne als konservativer Intellektueller sieht, endlich aus dem Auto steigt. Hellblaues Hemd, beige Hose, Hosenträger in der gleichen Farbe. Unaufgeregt zieht er den dunklen Mantel darüber, schüttelt lässig Hände. Es sieht gut aus für ihn. Wenn am 14. Oktober in Belgien Kommunalwahlen stattfinden, will der 42-Jährige Bürgermeister von Antwerpen werden. Die größte Stadt in der nördlichen Region Flandern ist Standort des zweitwichtigsten Hafens Europas, Wirtschaftsmetropole und kulturelles Zentrum. "Wer hier regiert", sagt er, "regiert über zehn Prozent der Flamen."

Mit den Flamen hat De Wever noch Großes vor. Eines Tages, so steht es im Grundsatzprogramm der Neu-Flämischen Allianz, sollen die sechs Millionen Einwohner auf 13.500 Quadratkilometern unabhängig werden. Nicht mit Gewalt, versteht sich. Das dumpfe sezessionistische Gepolter des rechtsextremen Vlaams Belang vermeidet die N-VA tunlichst. "Evolution statt Revolution", pflegt der Historiker De Wever zu sagen. Im Duktus der Partei ist Belgien ein Kunstprodukt jenseits des Haltbarkeitsdatums. Journalisten aus der ebenfalls mehrsprachigen Schweiz, die heute seine Wahlkampftour begleiten, erklärt De Wever das dann gerne so: "Ihre Leser müssen wissen, dass wir zwei getrennte Demokratien haben, zwei getrennte Medienlandschaften, zwei getrennte öffentliche Meinungen."

Der inszenierte Außenseiter

Ist also die N-VA nur Erfüllungsgehilfin eines historischen Schicksals? Tatsächlich driften der flämische Norden und der wallonische Süden Belgiens seit einem halben Jahrhundert immer weiter auseinander. Immer mehr politische Befugnisse wurden den Regionen übertragen.

Dahinter aber steckten meist die Protagonisten des flämischen Unbehagens angesichts milliardenschwerer Transferzahlungen Richtung Süden, in die frankophone Wallonie, die Belgiens Wirtschaft einst dominierte, durch den Strukturwandel aber abgehängt wurde. An der Spitze dieser Bewegung steht heute die N-VA, hervorgegangen 2001 aus der nationalistischen Volks Unie und in kürzester Zeit zur größten Partei Flanderns geworden - auch wenn sie wegen ihrer Ideen über die Zukunft des Landes in der Opposition ausharrt.

Auf Gemeindeebene sieht die Lage jedoch anders aus. Als hier 2006 zuletzt gewählt wurde, war die N-VA noch eine neue Kleinpartei, die im Verband mit den Christdemokraten antrat. Mittlerweile hat der einstige Bündnispartner allerdings die Seiten gewechselt und bildet nun eine Allianz mit den Sozialdemokraten, um zu verhindern, dass De Wever Bürgermeister wird. Doch auch gemeinsam liegt man zehn Prozent hinter den Nationalisten, die sich künftig auf breiter Ebene in den Rathäusern verankern wollen. Genau darum blickt am 14. Oktober das ganze Land nach Antwerpen. "Die Stadt ist eine Vorbotin für den Rest des Landes. Politische Phänomene entstehen hier", sagt De Wever, während sein Team an Haustüren klingelt und Flugblätter an Menschen im Morgenmantel verteilt. Er selber hat schon die Zeitungen gelesen und weiß daher: "Die ganze Wallonie drückt Patrick Janssens die Daumen." Janssens ist sein Kontrahent, der amtierende Bürgermeister Antwerpens.

Eine Konstellation, wie gemacht für Bart De Wever. Wie der flämische Nationalismus seit jeher auf die einstige Dominanz der Frankophonen verweist, inszeniert sich auch der N-VA-Chef bevorzugt als Außenseiter im Politbetrieb. "Alle gegen einen" rief er vor Monaten als Motto der Kommunalwahlen aus. "Die Kräfte der Veränderung stehen den Kräften des Status quo gegenüber." Und die Veränderung, so beschwören es die gelb-schwarzen Plakate in Berchem wie im Rest Flanderns, beginnt in der Gemeinde.

De Wever jedenfalls kennt sich aus mit Veränderungen: 60 Kilo hat er mittels einer Protein-Diät in sechs Monaten abgespeckt. Einst gezeichnet von morbider Adipositas, sehen seine Wangen nun recht eingefallen aus. Das Rezept dafür? "Willen", so De Wever unlängst im TV. Im frankophonen Teil Belgiens ist seine Willenskraft gefürchtet. Wie war das noch gleich mit der Evolution, an deren Ende das Land auseinanderfällt? Und welche Rolle spielt Antwerpen in diesem Prozess? Könnte man gar, angelehnt an Leonard Cohen, sagen: First we take Antwerp? Eine Andeutung von etwas huscht da über das schmal gewordene Gesicht. "Ja", sagt De Wever. "So können Sie das sehen. Das ist der Plan."