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Ein Freudenfest

Von Alexander Maurer

Politik

Mehr als 4000 Menschen feierten auf dem Heldenplatz die Befreiung vom Nationalsozialismus.


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Wien "Servas, wie geht‘s?" "Jo, Scheißwetter, aber dafür sieht ma‘ diesmal wos." So begrüßen sich zwei ältere Männer Montagabend am Heldenplatz, wo nun zum fünften Mal in Folge unter starker Polizeipräsenz das "Fest der Freude" gefeiert wird, um an die Kapitulation des Dritten Reichs und das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 zu erinnern. Den Schwerpunkt des Abends bildete ein Gratiskonzert der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Dirigent Adam Fischer.

Tatsächlich scheint es eine Dreiviertelstunde vor Beginn der Veranstaltung, als würde das schlechte Wetter die Besucherzahlen drücken. Der Heldenplatz ist noch größtenteils leer, in den Sitzreihen vor der Konzertbühne haben sich einige Leute niedergelassen, andere stehen hinten beim Reiterdenkmal oder direkt an die Bühnenabsperrung gelehnt.

"Ich bin am Rückweg von der Arbeit vorbeigekommen und wollte mir die Reden und das Konzert ein wenig anschauen. Aber so wie es aussieht, werd ich wohl doch nicht lange bleiben", meint ein Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und sieht dabei nachdenklich in den wolkenverhangenen Himmel hoch. Der starke Wind zerrt schon an einigen aufgespannten Schirmen. Als es zu regnen beginnt, werden an die Besucher Plastikponchos verteilt.

"Gut, dass es noch Menschen gibt, die berichten können"

Aber nicht nur Wiener sind hier, um zu feiern. Ein japanisches Urlauberpärchen, das wegen des Symphonikerkonzerts hergekommen ist, macht vor der Absperrung Selfies. "Ich komme sowohl wegen der Feierlichkeiten als auch wegen der Wiener Symphoniker her, da ich dem Sommerkonzert in Schönbrunn leider nicht beiwohnen kann", sagt hingegen Barbara Wieser. Die Wienerin war bisher jedes Jahr am Heldenplatz. "Wenn man in der Nähe wohnt, ist es eigentlich Pflicht, herzukommen. Außerdem finde ich es gut, dass man an diesem Symboltag feiert und es noch Menschen gibt, die über ihre Erlebnisse berichten können." Auch ihr 88-jähriger Großvater erzähle ihr noch Geschichten.

Vor Beginn der Veranstaltung füllt sich der Heldenplatz jedoch allmählich, Menschentrauben strömen zu den Feierlichkeiten. Laut Veranstaltern waren schließlich mehr als 4000 Menschen vor Ort. Als Vertreter der Siegermächte in Videobotschaften Österreich zum 72. Jahrestag der Befreiung gratulieren, folgt anerkennender Beifall. Organisator Willi Mernyi vom Mauthausen Komitee Österreich erinnert daran, dass vor einigen Jahren noch deutsch-nationale Burschenschafter ihre Mahnwachen beim Kriegerdenkmal abhielten. Auch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny zeigt sich erfreut, dass sich "niemand, der das Kriegsende betrauert", auf dem Heldenplatz befinde. Sogar die in letzter Zeit eher Kritik ausgesetzte Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou erntet Beifall, als sie zu vorbehaltloser Freude und dazu aufruft, Zweifel "erst morgen" wieder auszupacken.

Bundeskanzler Christian Kern dankt sowohl dem Widerstand im Dritten Reich als auch den Alliierten Befreiern. Er warnt auch davor, dass ein "plumper, furchtbarer Nationalismus" in neuem Gewand zurückkehren könnte. "Wo früher Hassparolen an Hauswände geschmiert wurden, findet man sie jetzt in sozialen Netzwerken", so der Kanzler. Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner betont, dass der "Gedanken des niemals gegeneinander, des niemals wieder" in die Tat umgesetzt werden müsse und dankt Zeitzeugen, dass aus dem früheren "Tag der Kapitulation" ein Fest der Freude geworden ist.

"Ich wusste, ich gehöre nicht dazu"

Eine von ihnen ist Lucia Heilman. Mit acht Jahren wohnte sie der Anschlussrede Adolf Hitlers am Heldenplatz bei. "Und ich bin dort gestanden und hörte das Schreien, das Grölen und die Rufe: ,Heil, Heil, Heil... - ich wusste, ich gehöre nicht dazu." Sie musste wie alle anderen jüdischen Kinder die Volksschule verlassen, durfte nicht mehr in Parks spielen, da diese Ariern vorbehalten waren. Heilman verlor Freunde und ihren Großvater. Auch sie und ihre Mutter sollten deportiert werden. Jedoch rettete sie Reinhold Duschka, der beste Freund ihres Vaters, aus dem Sammellager und versteckte sie bis Kriegsende. Heilman erinnert sich noch an das Glück, dass sie bei der russischen Befreiung empfand. "Ich war glücklich, ich war selig, ich konnte endlich laufen, wohin ich wollte, und ich konnte mich auf jede Parkbank setzen."

Auch unter den Besuchern auf dem Heldenplatz finden sich Zeitzeugen. Die 77-jährige Erika Stiefler erzählt der "Wiener Zeitung" von ihren ersten Erinnerungen. "Wir haben damals im dritten Bezirk gewohnt. Bei jedem Bombenangriff sind wir in den Luftschutzbunker im Arenbergpark geflüchtet. Das Sirenengeheul vergisst man sein ganzes Leben lang nicht." Von ihrer Mutter weiß Stiefler noch, dass der erste Blick nach dem Verlassen des Bunkers immer den Feuern galt. "So konnte man abschätzen, ob das eigene Haus getroffen wurde", erklärt sie. Sie ist froh über den Gedenktag und die Erinnerung. "Denn genau genommen ist das alles noch gar nicht so lange her", sagt sie.