SPÖ-Spitzenkandidat Eugen Freund muss den Pensionisten Beine machen, will er am 25. Mai gewinnen.
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Wien. 15. Bezirk, Meiselmarkt. Pro Tag strömen hier rund 6500 Menschen durch die Markthalle und die angeschlossene Shopping-Mall. Doch beim Besuch des SPÖ-Spitzenkandidaten Eugen Freund wirkt seine Entourage aus Kuliverteilern, örtlichen Parteifunktionären und Journalisten größer als die gesamte Käuferschar. Es ist Mittwoch, 9.15 Uhr, da trinkt die Kernwählerschicht der Arbeiterpartei trotz Öffi-Streiks längst den ersten Kaffee in der Werkskantine. Zu dieser Zeit gehört der Markt den Pensionisten. Ein paar sind hier. Bingo.
Die Fernseh-Kameras kreisen eine Gruppe Pensionisten ein, die nun mit dem Rücken zur Wand zwischen zwei Standln sitzen. Mit Freund setzen die Kameras einen ehemaligen Moderator der "Zeit im Bild" in Szene. Er will ein rotes Feuerzeug aus seinem Geschenke-Körberl überreichen. "Ich rauche nicht", sagt die "geborene Meiselmarkterin" Frau Anni. "Dann ist es für den Gasherd oder die Kerzen", sagt Freund.
Die Pensionisten sind die wichtigsten und treuesten Wähler der SPÖ. 33 Prozent haben bei der Nationalratswahl 2013 rot gewählt, 30 Prozent schwarz. An die älteren Wähler hat man im Kanzleramt wohl gedacht, als man den Spitzenkandidaten Freund aus dem roten Hut gezaubert hat. Denn die Pensionisten gehören auch zu den treuesten Sehern der "Zeit im Bild". Der 63-Jährige, der das Politikabenteuer der ORF-Pension vorzog, soll ihnen mit seiner Bekanntheit Beine machen. Denn was die Teilnahme an den EU-Wahlen betrifft, sind die Alten schon viel weniger treu. Euro-Europa mit seinen komplizierten Strukturen und Kürzeln ist für Menschen der Schilling-Ära naturgemäß weiter weg als für Studenten, die via Erasmus durch Europa jetten. Gehen die drei wählen? "Nur, wenn ich dann gehen kann", sagt die Freundin von Anni und greift sich ans Knie.
Der zweite Anlaufdes Spätzünders
Es scheint Freund zu ärgern, dass ihn Frau Anni, ihr Gatte Herr Kurt und die Bekannte nicht aus der "ZiB", sondern "aus der Zeitung" kennen. Denn dort stand nach einem unvorteilhaften Interview - er schätzte das Durchschnittsgehalt eines Arbeiters um 1000 Euro zu hoch - wenig Schmeichelhaftes über ihn. In den sozialen Medien entstand das Bild des Egoshooters ohne Bodenhaftung, der Hackler nur dann kennenlernte, wenn sie ihm gut bezahlt die Wohnung einrichteten. "Nicht alles, was dort steht, stimmt", sagt Freund. Später wird er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" von einem "riesigen Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung" sprechen. Der Schreck über die Empörungswelle, vulgo Shitstorm, die im Internet über ihn hereinbrach, sitzt ihm noch in den Knochen. "Das war total überraschend. Ich weiß jetzt, wer meine echten und wer nur meine angeblichen Freunde sind", kann er sich einen Seitenhieb auf motzende Ex-Kollegen aus dem ORF nicht verkneifen.
Zurück zu Frau Anni. Sie wird Freund heute nicht überzeugen, SPÖ zu wählen. "Ich weiß selber, was man wählt", sagt sie - und das ist, seit sie denken kann, die SPÖ. Da braucht sie Freund nicht dazu. "Ich wohne in der roten Siedlung", das ist für sie Grund genug. Als Kind des Gemeindebaus hat sie noch eine klare Vorstellung, wofür die SPÖ steht.
Der Tross zieht weiter um die Ecke. Shakehands mit Mohamed Abdul Sattar aus Bangladesch, der seit 24 Jahren in Österreich lebt und am Meiselmarkt Kebab verkauft. Ein Haupttreffer. Er geht wählen und wird sein Kreuz für die SPÖ machen. Denn die SPÖ sei für die Arbeiter und Ausländer. "Der Strache redet nur Blödsinn und ist gegen den Islam. Religion ist doch Privatsache", zieht er gegen den FPÖ-Chef vom Leder.
Ein Roter wegenKreisky und Haider
Da rennt er bei Freund offene Türen ein. Dessen Stimme bleibt zwar selbst bei Untergriffen gegenüber seinem Kontrahenten Othmar Karas von der ÖVP milde. - "Wenn die Europäische Volkspartei angeblich so gut gearbeitet hat, warum gibt es dann 26 Millionen Arbeitslose?" Doch wenn es um die FPÖ - für ihn "die Nationalisten" - geht, überschlägt sie sich doch. "Die Nationalisten haben uns vor 100 Jahren in den Ersten Weltkrieg geführt." - "Die österreichischen Nationalisten wollen mit Marine Le Pen von der französischen Front National zusammenarbeiten. Die hat gesagt, sie will Europa in die Luft sprengen. Wollen wir das, die EU in die Luft sprengen?"
Freunds Mutter war als "eingefleischte" Kärntner Sozialdemokratin im Dauerclinch mit FPÖ-Ikone Jörg Haider. Neben Reibebaum Jörg Haider habe der Langzeit-Bundeskanzler der SPÖ, Bruno Kreisky, Freund politisch geprägt. Der Kämpfer am Wählermarkt verkörpert den liberalen, intellektuellen Linken. Doch wie hält er es mit den "rechten Linken"? Die soll er auch abholen und die sind zahlreicher als SPÖ-Wähler seiner Facon. Gemeint ist der Typus "Hackler", der wirtschaftspolitisch links steht, weil er von der Partei Arbeit und Wohnung erwartet, aber gesellschaftspolitisch tendenziell rechts steht. Jene Hackler, bei denen die FPÖ schon in gewissen Segmenten die Mehrheit haben soll. "Wir versuchen Leute, die berechtigte Sorgen haben, mitzunehmen. Wir gehen auf ihre Bedenken ein, sagen ihnen aber, dass wir solidarisch sein müssen mit den anderen in Europa." Die ’Arbeiterpartei FPÖ‘ sei nur ein Wunschtraum der Blauen.
Mobilisierungund Patriotismus
Die größten Sorgen bereiten ihm nicht die Freiheitlichen, die der SPÖ die Arbeiter wegnehmen könnten, sondern die Nicht-Wähler. Andererseits könnte ehemalige Wähler von Hans-Peter Martin wieder zurückfinden.
Auch die müssen abgeholt werden. Und deswegen muss Freund heute noch weitere Wählermärkte abgrasen - besonders jene, wo die zu mobilisierenden Kernwähler sind: im Altersheim zum Beispiel. Dort geht es als Nächstes hin.