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Ein Freund, ein guter Freund...

Von Manuela Hahofer

Reflexionen

Kumpel, Vertrauter, Kamerad, Intimus - viele Begriffe für ein Gefühl: Freundschaft. Doch welche Erwartungen haben die Menschen wirklich an ihren besten Freund, die beste Freundin? Freunde fürs Leben - gibt es das wirklich? Kann Freundschaft alle Höhen und Tiefen des Lebens überdauern?


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Fast alle von uns sind in ihrer Schulkarriere irgendwann auf Schillers "Bürgschaft" gestoßen. Meist hat man die Verse widerwillig auswendig gelernt, verstanden haben wohl die wenigsten den tiefen Sinn dieser Hymne an die Kameradschaft. Jahre später erst wird vielen klar, welch wundervolles Loblied auf die Freundschaft Schiller da geschrieben hat. Doch gibt es diese Freundes-Treue bis in den Tod tatsächlich oder ist es ein Wunschbild von unverbesserlichen Romantikern?

Neuer Stellenwert. Wer träumt nicht davon, einen Gefährten zu haben, der einen in allen Lebensabschnitten begleitet? In unserer Zeit, in der man vom Geliebten nur mehr als Lebensabschnittspartner spricht, bekommt der Stellenwert der Freundschaft für viele eine neue Bedeutung. Auch das Wegfallen der Großfamilie macht enge Freundschaften immer wertvoller. Für viele sind Freunde wichtiger als die Familie. In der Freundesclique fühlt man sich geborgen, hier wird man verstanden.

Jeder von uns erinnert sich wohl an seine erste Freundschaft. Meist fing es im Kindergarten an. Bei manchen Kindern wechseln die "besten Freunde" wöchentlich, bei manchen bleiben sie bis zur Schule und darüber hinaus.

In der Volksschule wird dann das Gefühl der Freundschaft schon verbindender - man fühlt sich einem der Mitschüler besonders nah, ist manchmal sogar unzertrennlich.

Wichtig für die Entwicklung. Freundschaften sind für die Entwicklung des Kindes extrem wichtig. Sie helfen bei der Abnabelung vom Elternhaus. In der Beziehung zu Gleichaltrigen lernt das Kind, sich in einer Gruppe durchzusetzen, es erkennt seine Grenzen, bekommt aber auch positive Impulse, wenn es Anerkennung unter den Freunden findet. Der Sprössling kann ein realistisches Selbstbild entwickeln. Das stärkt das Selbstwertgefühl und ist für das spätere Leben sehr wichtig.

Spannende Erkenntnisse gewinnt man, wenn man zunächst Kinder nach den Charaktereigenschaften der Freunde fragt. Fast alle meinen, sie sollen genauso sein wie sie selbst, also die gleichen Interessen und Vorlieben haben. Auch Teenager streichen in der Befragung noch heraus, dass es ihnen sehr wichtig ist, dass Freunde ihnen ähnlich sind. Kaum der Pubertät entwachsen, ändern sich aber bei vielen die Anforderungen an die Freunde: Sie sollen sich unterscheiden, sollen neue Aspekte ins eigene Leben bringen. Da werden Freunde dann eher nach dem Motto "Gegensätze ziehen sich an" ausgewählt.

Eines scheint aber vielen Freundschaften in der Jugendzeit gleich zu sein: Der wechselseitige Austausch von Gedanken und Gefühlen. Man redet stundenlang über Probleme, bekommt von den Freunden Feedback - das ist ein Weg zur persönlichen Weiterentwicklung. Man lernt sich durch die Reflexion, die man durch seine Freunde bekommt, besser kennen.

Für das ganze Leben. Manchmal halten die Freundschaften, die da geschlossen werden, ein Leben lang. Sie überdauern Lebenskrisen, Umzüge in andere Städte oder auch Ehen. Doch was hier so simpel klingt ist - wie alle Gefühlsbereiche der Menschen - überhaupt nicht einfach. Auch eine Freundschaft ist dem Wandel unterworfen. Und wenn man eine Freundschaft von der Schulzeit über die Erwachsenenwelt bis ins Pensionsalter hinüberretten will, erfordert das viel Einfühlungsvermögen und Verständnis auf beiden Seiten. Doch man muss auch das Glück haben, dass man sich in die gleiche Richtung weiterentwickelt. Denn was der Tod einer großen Leidenschaft zwischen Mann und Frau sein kann, wird auch einer Freundschaft gefährlich. Plötzlich merkt man, dass man aneinander vorbei redet, dass man den anderen nicht mehr versteht. Der Freund wird einem fremd, obwohl man jahrelang glaubte, man kennt ihn genauso gut wie sich selbst. Das kann das Ende einer Freundschaft sein - oder zumindest eine "Freundschaftspause" hervorrufen. Denn manchmal passiert es, dass sich ehemalige Freunde nach Jahren wieder begegnen und erstaunt feststellen, dass sie sich wieder etwas zu sagen haben, dass sie wieder auf einer Wellenlänge liegen.

Mit Knall und Fall. Oft endet eine Freundschaft aber nicht still und leise, sondern mit einem richtigen Knall. Denn je näher man sich steht, desto größer ist auch die Gefahr, einander wirklich tief zu verletzten: Man kennt die Wunden des Freundes und streut im Streit dann reichlich Salz hinein. Meist ist es oberflächlich nur eine Kleinigkeit, die den Konflikt auslöst. Jedoch da muss man genau hinsehen: So gut wie nie ist es nur eine Lapalie, um die es in Wahrheit geht, an der sich der Streit entfacht. In langjährigen Freundschaften haben sich Konflikte aufgestaut, die irgendwann ausbrechen. Ob die Freundschaft dann noch zu retten ist, liegt an der Kommunikationsbereitschaft der beiden Partner.

Auch eine neue Liebesbeziehung kann für eine Freundschaft gefährlich sein. Der eine Part hat nicht mehr so viel Zeit für die Freundin oder den Freund, die sich letztendlich nicht mehr wichtig fühlen. Wenn die Konflikte dann nicht ausgesprochen werden, bedeutet das oft das Ende einer Freundschaft. Ganz egal warum und wie eine Freundschaft auseinander bricht, man wird immer Trauer verspüren. Schließlich verliert man einen Menschen, der einmal sehr wichtig für einen war. Man sollte sich die Zeit nehmen, um die Freundschaft zu betrauern.

Niemals ohne. Doch beleuchten wir auch die schönen Seiten der Freundschaft. Kaum eine Frau hat keine "beste Freundin". Mit ihr wird stundenlang telefoniert, die beiden gehen gemeinsam auf Einkaufstouren und können stundenlang über Mode reden. Bei der besten Freundin kann man sich ausweinen, wenn man Liebeskummer hat, und man kann ihr von der neuen Liebe vorschwärmen.

Männerfreundschaften sehen meist anders aus. Da wird nicht so viel über Emotionales gesprochen - man diskutiert über Sport oder Politik, man geht gemeinsam ins Fitnesscenter oder in Bars. Dennoch ist "der beste Kumpel" wichtig für Männer. Diese Freundschaft kann für Männer oft bedeutender als so manche Beziehung zu einer Frau sein. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich Männer und Frauen Freundschaft leben.

Doch warum herrscht allgemein die Meinung vor, dass Freundschaft zwischen Frauen und Männern nur schwer möglich ist? Wahrscheinlich ist es eher das "Problem der Erotik", das bei einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern immer wieder dazwischen funkt. Denn meist denkt einer der beiden nicht an Freundschaft, sondern will eine intime Beziehung, hat sich in den Freund/die Freundin verliebt. Daran sind wohl schon unzählige Freundschaften zwischen Frauen und Männern gescheitert.

Unterschiedliche Definition. Leider ist die Definition der Freundschaft aber nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern generell ein großes Problem. Das zeigt eine Studie der Freundschaftsforscherin Ursula Nötzoldt-Linden. Diese zeigt eine große Diskrepanz bei der Auslegung des Begriffs. So wurden einige Menschen nach ihrer besten Freundin/ihrem besten Freund befragt. Danach wurden die jeweilig Genannten nach der Beziehung zu den Erstinterviewten gefragt. Erstaunliche 64 Prozent gaben an, die Beziehung zu diesen Personen nicht einmal als Freundschaft einzustufen. Daraus lässt sich erkennen, wie unterschiedlich Freundschaft von Menschen definiert wird. Wenn man diese Studie kennt, ist es nicht schwer zu erahnen, wie viele Probleme und Verletzungen aus diesen zwischenmenschlichen Missverständnissen resultieren können.

Doch ganz egal, welche Überraschungen das Schicksal auch für einen bereit hält, es ist schön, wenn man den Zeilen des Carol King-Klassikers "Youve got a friend" zustimmen kann: "Winter, spring, summer or fall - all youve got to do is call - and Ill be there."