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Ein Frieden mit Zähneknirschen

Von Onur Kas

Gastkommentare
Onur Kas ist Politikwissenschafter und Redakteur beim Wiener Stadtmagazin "Biber".

40.000 Opfer hat der Konflikt gefordert. Nun verkündete Kurdenführer Abdullah Öcalan aus der Haft den Frieden mit der Türkei.


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Der Zeitpunkt der Friedensverkündung konnte für kurdische Verhältnisse kaum inszenierter sein: Es war Newroz. 25 bis 30 Millionen Kurden (so wird ihre Zahl laut Experten geschätzt) feierten ihr Neujahrsfest, das sich im Laufe der vergangenen 30 Jahren immer mehr zu einer politisch-kulturellen Kundgebung gewandelt hat. Das heurige Newroz stellte eine Zäsur im Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden dar. Der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan hat zum Frieden mit der Türkei aufgerufen: "Es ist an der Zeit, die gnadenlose und zerstörerische Geschichte zu beenden und eine Ära des Friedens und der Brüderlichkeit und der Demokratie zu beginnen. Der Kampf unserer Bewegung war voller Schmerzen. Er war nicht umsonst, aber er hat einen Punkt erreicht, an dem man ihn so nicht fortsetzen kann."

In Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt der Kurden, lasen Abgeordnete der Kurdenpartei HDP die Botschaften jenes Mannes vor, der seit 16 Jahren aus der Haft die politischen Richtlinien der Kurden vorgibt. Unter ihnen gilt er als moralische Autorität, der ein unermesslicher Personenkult widerfährt.

Seit 2005 liefen die Friedensverhandlungen schon. Autonomie, kurdischer Sprachunterricht, kurdisches Fernsehen, politische, soziale und kulturelle Anerkennung und nicht zuletzt die Beendigung der Assimilationspolitik durch den türkischen Staat sind Kernforderungen, die die Kurden erfüllt haben wollen. Und schon jetzt haben sie in Südostanatolien ein weltweit einzigartiges Verwaltungssystem mit politischer Gleichstellung der Geschlechter aufgebaut: In 103 Gemeinden teilen sich jeweils ein Bürgermeister und eine Bürgermeisterin Amt und Gehälter. Eine Provokation für Konservative und Nationalisten. Der türkische Staat erkennt das Prinzip nicht an.

Zu einem tatsächlichen Waffenstillstand kam es nie, weil das kurdische Misstrauen gegenüber der türkischen Regierung überwiegt. Präsident Recep Tayyip Erdogan hoffte, dass der IS-Vormarsch in Syrien das Assad-Regime stürzen und die Kurden schwächen würde. Seine Weigerung, die PKK gegen den IS operieren zu lassen, sorgte nicht nur für Unverständnis bei westlichen Regierungen, sondern er zog damit auch den Zorn der Kurden auf sich. Selbst jene, die jahrelang für die AKP gestimmt hatten, wandten sich allmählich der neu aufgestellten Kurdenpartei HDP von Selahattin Demirtaş zu. Das überraschend starke Abschneiden des charismatischen Kurdenpolitikers bei den Präsidentschaftswahlen führte zu einem Eingeständnis Erdogans: Die Kurdenregionen sind eine Pufferzone zwischen der Türkei und dem IS. Ohne die Kurden wäre die Türkei in Gefahr. Öcalan hat deshalb seine Anhänger nicht dazu aufgerufen, die Waffen niederzulegen. Zwar stellt er die Weichen für einen Friedensplan, und die Sehnsucht danach in der Bevölkerung ist riesig. Aber nun müsste auch die AKP einen Schritt wagen. Sie tut sich aber schwer und nimmt das Friedensangebot zähneknirschend an. Denn die Nationalisten rasseln bereits mit den Säbeln. Im Juni wird in der Türkei gewählt. Wenn Erdogan sein präsidentielles System nach US-Vorbild durchsetzen will, ist er auf ihre Stimmen angewiesen. Nicht von ungefähr behauptete er daher jüngst: "Die sogenannte Kurdenfrage gibt es nicht."