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Forum gegen Antisemitismus verzeichnete 2015 um 82 Prozent mehr Vorfälle als 2014.
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Wien. Ein Jude, der eine Halskette mit Davidsternanhänger trägt, wird beim Einkaufen von einer Gruppe junger Männer angepöbelt, als "Scheißjude" beschimpft und schließlich, da er nicht auf die Anfeindungen reagiert, von einem der Männer verfolgt und geschlagen. Er muss schließlich im Krankenhaus behandelt werden.
Das ist einer von zwei tätlichen antisemitischen Übergriffen, der dem Forum gegen Antisemitismus (FGA) 2015 gemeldet wurde. Und es ist einer von insgesamt 465 Fällen von Antisemitismus, die das FGA im Vorjahr insgesamt verzeichnete. Im Jahr zuvor waren es 255 gewesen, woraus sich ein Ansteigen antisemitischer Vorfälle um 82 Prozent errechnet. 2013 gingen 137 Meldungen ein.
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, sprach am Mittwoch in einem Pressegespräch von einem "sehr alarmierenden" Bericht. So sei die Anzahl der tätlichen Übergriffe gegenüber 2014 zwar von neun auf zwei zurückgegangen. Das führe er auf den stärkeren Schutz jüdischer Einrichtungen sowohl durch die Polizei als auch die IKG-eigene Sicherheitsabteilung zurück.
Stark im Zunehmen sei aber der Antisemitismus im Internet. Von den 465 gemeldeten Fällen betrafen 205 Vorfälle Einträge im Netz (2014: 83 solcher Meldungen). Da bezeichnete etwa die Palästinensische Jugend Österreichs Selbstmordattentäter als "wahre Helden" und ein nach Eigendefinition holistischer Therapeut leugnete die Existenz von Gaskammern. Darüber hinaus wurden fünf Fälle von Hacking verzeichnet: Betroffen war zum Beispiel die Jüdische Gemeinde in Baden. Die weiteren Kategorien: Beschmierungen/Bedrohungen (18 Fälle), Drohanrufe (fünf), Drohbriefe (30), Schmähanrufe (30), Schmähbriefe (120), Sachbeschädigungen und Beschmierungen (50). Das Bild, das sich hier insgesamt zeige, sei jedenfalls "wirklich furchterregend", so Deutsch.
Wer hinter diesen antisemitischen Taten steckt, könne man nicht genau zuordnen, betonte Amber Weinber vom Forum gegen Antisemitismus. Manchmal würden zum Beispiel im Internet getätigte Aussagen zunächst rechtsextrem anmuten, dann stelle sich aber ein muslimischer Hintergrund heraus.
Was fehlt: eine einheitliche Definition für Antisemitismus
Deutsch sprach von drei Kategorien von Antisemitismus: jenem von rechts, dem von links und schließlich jenem von islamischer Seite. Letzterer sei tendenziell im Steigen, das spüre man schon seit einigen Jahren. Man könne das aber eben nicht mit konkreten Zahlen belegen. Weinbers Einschätzung: Von den 465 aufgelisteten Vorfällen seien rund 70 Prozent grundsätzlich nicht zuordenbar, 15 Prozent gingen auf das Konto islamischer Urheber, zehn Prozent seien Rechten zuzuordnen, fünf Prozent Linken.
Deutschs Fazit sowie Forderungen an die Politik: Es brauche eine weltweit einheitliche Antisemitismus-Definition, einen Aktionsplan sowie ein Monitoring auf europäischer Ebene und in Österreich intensivere Integrationsarbeit mit den inzwischen mehr als 100.000 mehrheitlich muslimischen Flüchtlingen. Bisher sei zwar kein einziger Fall von Antisemitismus durch einen Flüchtling belegt, sagte Deutsch auf Nachfrage. Allerdings sei vielen dieser Menschen von klein auf Antisemitismus beigebracht worden. Hier brauche es neben Deutschunterricht auch verpflichtende Wertekurse, in denen Toleranz, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Demokratie vermittelt würden. Zudem hielte der IKG-Präsident Besuche in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen für sinnvoll.
Angesprochen auf Ängste in der jüdischen Gemeinde hinsichtlich des starken Flüchtlingszuzugs meinte Deutsch: Viele Mitglieder seien besorgt, daher sei die Sicherheit verstärkt worden. Konkrete Vorfälle seien aber bisher nicht bekannt. IKG-Generalsekretär Raimund Fastenbauer betonte dazu, das Problem sei von den Behörden lange übersehen worden. Da es nun mehr Muslime in Österreich gebe, könnte auch der Zulauf zu islamistischen Vereinen steigen. Hier müsse gegengesteuert werden.