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Ein ganz starker Ausdruck

Von Richard Picker

Gastkommentare

Die aktuelle Auseinandersetzung in der österreichischen katholischen Kirche ist ein Jahrhundert-Thema - und kostbar.


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Die gegenwärtige Auseinandersetzung in der katholischen Kirche Österreichs hat nichts mit "Schönborn gegen Schüller" zu tun (gleichsam als eine Reminiszenz an Helmut Qualtingers "Kapfenberg gegen Simmering"), sondern ist ein Jahrhundert-Thema. Missverständnisse sind dabei fast vorprogrammiert. Was da zu Tage tritt, ist kostbar und längst fällig gewesen.

Was also Helmut Schüller und seine 350 Mitstreiter (alles ausgewiesene Kleriker, die wissen, wovon sie reden) fordern, ist überhaupt nicht neu oder erstaunlich. Sie fordern die Deckungsgleichheit von Kirchengesetzen und der Menschenrealität.

Das Reizwort "Ungehorsam" ist so neu nicht - denn alles, was zum Beispiel vom Konzil her erlaubt, ja sogar geboten worden ist, war zunächst verboten und unter Strafe gestellt. Man könnte sogar fragen, ob jemand in einem System, das dem der Kirche ähnelt, gehorsam sein kann, wenn er nicht auch partiell ungehorsam ist. Die Pfarrer sprechen also nur aus, was alle wissen, die praktisch in der Kirche mitarbeiten.

Daher braucht es eine Veröffentlichung der Kirchenrealität, um die Kluft zwischen oben und unten zu schließen. Oben die Gesetze und unten die Praxis: Das ergibt eine starke Spannung und die pure Heuchelei.

"Die Pfarrer heucheln alle", sagen die Leute

Der daraus folgende Glaubensalltag macht auf die Dauer psychisch krank. Seit Erwin Ringel ist das psychiatrisch und verständlich beschrieben. "Die Pfarrer heucheln alle", sagen die Leute. Da ist was dran - aber was sollten sie tun, die Pfarrer?

Ein paar Beispiele dazu gefällig? Das Verbot der Pille durch Papst Paul VI. wäre das griffigste. Ein weiteres wäre das Verbot der Selbstbefriedigung, der vorehelichen Beziehungen, das Verbot der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene (niemand kann das kontrollieren!), die Teilnahme an ökumenischen Gottesdiensten samt Kommunion, die liebevolle Gemeinschaft mit einer Frau (selbst strenge Päpste hielten ohne eine solche Gemeinschaft kaum ihren Alltag aus) - Was also soll der Amtszölibat? Rückt derzeit nicht alles von den Schreibtischen der römischen Kurie weg und zurück in das Gewissen der Christen? Ist das denn nicht ein wunderbarer Vorgang?

Andeutungen müssen genügen

Wir müssen hier abbrechen, das Thema ist derart umfangreich, dass Andeutungen genügen müssen. Aber ein Anfang des Umdenkens ist gemacht.

Jedenfalls: Die Pfarrer-Initiative hat recht. Das muss man auch vom therapeutischen Blickwinkel aus sagen und auch das ist nicht neu.

Ob sie erfolgreich sein wird, wird sich zeigen. Solidarität war schon immer eines sehr schwierige Sache im katholischen Klerus. Aber es bleibt der altbekannte Trost: Nur wer schläft, sündigt nicht! Die Pfarrer jedenfalls sind aufgewacht.

Richard Picker ist Psychotherapeut und Theologe in Wien.

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.