Alljährlich am 24. April gedenken die Armenier der Opfer der türkischen Verfolgung im Ersten Weltkrieg, der 1,5 Millionen ihres Volkes zum Opfer gefallen sind. In der Nacht vom 24. zum 25. April 1915 war die politische und geistliche Elite der Armenier in Istanbul verhaftet, verschleppt und ermordet worden. Dieses Datum gilt als Auftakt zur Deportierung und Ermordung der armenischen Bevölkerung in der Türkei. Bis heute weigert sich die offizielle Türkei den Genozid an den Armeniern anzuerkennen.
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Bereits am frühen Morgen kommen die ersten Menschen in unüberschaubaren Gruppen zu der 1965 errichteten Gedenkstätte im Park "Zizernakaberd" (Schwalbenfestung), besuchen das erst vor wenigen Jahren errichtete Völkermordmuseum und legen Blumen zur Erinnerung rund um die ewige Flamme nieder. Schon zu Mittag erfüllt ein Blumenmeer das Innere der Gedenkstätte, deren massive Basaltstelen die Trauer um die Ermordeten ausdrücken sollen und der Pilgerzug geht bis zum Abend ununterbrochen weiter.
Abordnungen der Streitkräfte mischen sich unter einfache Bürger. Kinder und Alte legen ihre Tulpen, Nelken, Lilien und Fliederzweige auf die Balustrade, die die Fackel mit dem ewigen Licht kreisförmig umgibt.
Der 24. April gilt als der höchste Feiertag in Armenien und der Gang auf die Schwalbenfestung ist nicht bloß Tradition. "Jeder hat das Gefühl in sich, dass durch die Massaker von 1915 sein Stolz und seine Würde zerstört wurden", sagt die Journalistin Hasmik Gulakiam von Radio Eriwan, die beklagt, dass die türkischen Verantwortlichen nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was damals geschehen ist. Sie meint, dass die Türken nicht nur den Genozid anerkennen, sondern den Armeniern auch ihr Land zurückgeben müssten.
Außenminister Vardan Oskanian ist da zurückhaltender. Die Anerkennung des Genozids durch die Türkei sei die Hauptsache, Gebiets- und Vermögensfragen seien vorläufig kein Thema.
Doch die offizielle Türkei mauert in der Genozidfrage und hat erst jüngst auf die Anerkennung des Armeniergenozids durch Frankreich sehr heftig reagiert.
Zuvor hatten bereits einige südamerikanische Staaten und Länder wie Schweden, Italien, Russland und Griechenland sowie das Europaparlament den Völkermord an den Armeniern anerkannt. In den USA, wo es eine starke armenische Lobby gibt - rund eine Million Armenier leben dort in der Diaspora - nimmt man offensichtlich noch auf den NATO-Partner Türkei Rücksicht. Die offizielle österreichische Haltung lautet, dass man nicht in den Vergangenheitsbewältigungsprozess eines anderen Landes eingreifen solle.
Intellektuelle in der Türkei hätten die Brisanz der Frage erkannt, aber das Wort "Genozid" dürfen sie nicht verwenden, meinte der in Deutschland lebende Türke Ali Ertem kürzlich bei einem Symposium in Eriwan. Ali Ertem ist Vorsitzender des in Frankfurt/Main ansässigen Vereins für Völkermordgegner, der im Vorjahr unter den in Europa ansässigen Türken eine Unterschriftenkampagne zur Anerkennung und Verurteilung des Armeniergenozids durchgeführt hat. Die an das türkische Parlament geschickten Unterschriftenlisten hat er freilich postwendend zurückbekommen. Die Türkei sei das einzige Land, das einen Genozid begangen hat und nie dafür zur Verantwortung gezogen worden ist, stellte er nüchtern fest und weist darauf hin, dass nach der Vernichtung der Armenier die Gewalt gegen das eigene Volk gerichtet wurde. Heute seien die Kurden, bei den Armeniermassakern Mittäter und Werkzeug der Türken, die Opfer.
Dabei geschah der Völkermord an den Armeniern seinerzeit nicht unbeobachtet. Am 27. Mai 1915 hatte der türkische Ministerrat die Deportation der Armenier aus dem Kriegsgebiet nach Mesopotamien und Syrien beschlossen. In deutschen und österreichischen Archiven befinden sich zahlreiche Berichte von zeitgenössischen Diplomaten die schon 1915 nach Berlin und Wien über die Massaker berichteten.
"Augenzeugen erzählen von schrecklichen Szenen, welche sich bei der Evakuierung der von Armeniern bewohnten Dörfer abgespielt haben. Im gleichen Sinne haben auch unsere Konsularämter in Damaskus und Trapezunt berichtet. Die Männer werden größtenteils erschlagen, Frauen und Kinder um ein Spottgeld an Türken verkauft. Diejenigen, welche die Wanderung in das Innere antreten, erreichen nur zu einem geringen Persentsatze ihr Ziel, weil sie unterwegs durch Entbehrungen, Krankheit oder Erschöpfung zugrundegehen. Es ist heute nicht mehr zu leugnen, dass die Türken die zweifellos sogar zahlreich vorgekommenen Fälle von Hochverrat und Aufruhr zum Anlass genommen haben, die Exterminierung der armenischen Rasse durchzuführen. Was ihnen zu einem großen Teile gelungen zu sein scheint", berichtete der kuk Geschäftsträger Graf Karl Trautmannsdorff im September 1916 nach Wien.
Franz Werfel erzählt in seinem 1933 erschienen Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh" vom verzweifelten Kampf der Armenier gegen die Deportation nach Mesopotamien. In Armenien wird er dafür noch heute wie ein Heiliger verehrt.
Die Berichte der deutschen und österreichischen Diplomaten hatten aber keine Folge, war doch die Türkei im Ersten Weltkrieg ein wichtiger Verbündeter, den man nicht verärgern wollte.
Adolf Hitler konnte also mit gutem Recht 1939, bevor die Deportationszüge in die Vernichtungslager rollten, sagen: "Wer erinnert sich heute noch an die Vernichtung der Armenier?" Im Genozidmuseum in Eriwan weist man darauf hin, dass einige seiner Generäle den Völkermord in der Türkei studieren konnten.