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Ein GAU als Wendepunkt

Von Werner Stanzl

Gastkommentare

Die Deutschen reagieren auf Fukushima wie Passagiere, die mitten im Flug aus der Maschine springen wollen, weil irgendwo eine zu Bruch gegangen ist. Und die Österreicher ermuntern sie dazu. Dieser Zuspruch ist von bemerkenswerter Selbstlosigkeit. Zumal es auch in ihren Stuben duster würde - sei es wegen der dann hohen Kilowattkosten oder weil Kohlekraftwerke umweltkriminell Sonne und Mond verfinstern würden. Bis es aber so weit ist, wird Österreich weiter Atomstrom importieren und sich gleichzeitig als Weltgewissen aufspielen. Wie etwa der Bundeskanzler, der im Vokabular von Skinheads gleich "Schulter an Schulter gegen die Atomindustrie kämpfen" will.


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Vielleicht stimmt es ihn nachdenklich, wenn er hier erfährt, dass Japans oberstem Währungshüter die Zerstörung nach Beben und Tsunami nicht so sehr schreckt wie die drohende Energieknappheit, die Japans Industrie "um Monate, wenn nicht um Jahre" zurückwerfen könnte. Das erklärt, warum die Japaner einen Generalausstieg aus der Atomkraft bisher nicht einmal angedacht haben.

Sie leben damit, dass es Kernkraftwerke ohne Restrisiko nicht gibt. Doch was ist schon ohne Risiko zu haben? Fliegen? Allein der jüngste Absturz beweist das Gegenteil. Der Weg von Kitty Hawk bis zu Concorde und Airbus wurde mit jedem Absturz trittfester. Mit Trial and Error durften sich aber die Atomkocher nicht belasten. Da die bisherige Annahme war, ein GAU wäre unbeherrschbar, musste schon seine Möglichkeit ausgeschlossen werden. Das machte die Väter der Kernenergie unglaubwürdig. Fukushima aber könnte jetzt dem Gesetz des Dazulernens nach Trial and Error auch in der Kernenergie Akzeptanz verschaffen und für einen Quantensprung an Reaktorsicherheit sorgen. Dazu drei relativ einfache Maßnahmen, von denen jede für sich den GAU verhindert hätte:

In Fukushima ließ der Tsunami den Strom ausfallen und so den Kern überkochen. Daher künftig Ausstattung jedes Meilers nicht bloß mit Generatoren und Batterien, sondern auch mit einer sekundären, autarken Stromzuleitung.

In Fukushima ließ der kochende Kern in logischer Folge das Kühlwasser verdampfen. Deshalb künftig Anschluss jedes Meilers an Zusatzquellen, die bei Ausfall der primären Kühlwasserversorgung sprudeln.

In Fukushima stehen sechs Meiler wie Vater, Mutter, Kind und Kegel auf einem Standort nebeneinander. Zugegeben, das zerstört nur ein Landschaftsbild. Wer aber sollte Meiler 1 und 2 in Schach halten, wenn Meiler 3 im GAU erstrahlt? In Zukunft also nur ein Meiler pro Standort.

Noch war aus den Nachrichten aus Japan nichts vernehmbar, was zwangsläufig das Ende der AKW implizieren würde, nicht behebbar erschiene und der energiehungrigen Welt von heute nicht in Richtung Beherrschbarkeit des GAUs weiterhelfen würde. Wahrscheinlich tüfteln Japans beste Köpfe schon an den Lehren aus Fukushima. So könnten wir Zeuge eines Wendepunkts werden, vom unabwägbaren zum beherrschbaren GAU, hin zu mehr Reaktorsicherheit.

Werner Stanzl ist Autor und Verlagslektor in Kärnten und war zuvor außenpolitischer Journalist (u.a. in London und Hamburg).