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Ein General macht Front gegen Brüssel

Von Susanne Güsten

Europaarchiv

Istanbul - Tuncer Kilinc tritt nur selten öffentlich in Erscheinung, und doch ist er einer der mächtigsten Männer der Türkei.


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Als Generalsekretär des von den Militärs dominierten Nationalen Sicherheitsrates in Ankara sitzt der Offizier direkt an den Schalthebeln der Macht. Deshalb spitzten jetzt Politiker und Beobachter jedweder Couleur die Ohren, als Kilinc bei einem Symposium in Istanbul zum Mikrofon griff. In seinem Redebeitrag machte der General Front gegen Europa und forderte eine komplette Neuorientierung der türkischen Außenpolitik.

Damit setzte sich Kilinc an die Spitze der wachsenden Schar der EU-Gegner in der Türkei. Doch gleichzeitig entfernte sich der General auch von der eigenen Truppe, wie bald deutlich wurde: Die Armee stellte klar, dass Kilinc keine neue Haltung der Militärs verkündet, sondern nur seine Privatmeinung geäußert habe. Zudem bemühten sich Kilinc's Kollegen im Generalstab um Schadensbegrenzung und erklärten, die Armee bleibe bei ihrer pro-europäischen Ausrichtung.

Zum Teil lag es am recht abenteuerlichen Inhalt der Vorschläge von Kilinc, dass der General nicht unwidersprochen blieb. Er glaube, dass die EU das Bewerberland Türkei ohnehin niemals aufnehmen werde, sagte Kilinc: Noch nie habe die EU der Türkei geholfen. Es sei deshalb an der Zeit, dass Ankara sich neuen Partnerschaften - etwa mit Russland oder Iran - zuwende, ohne dabei die Freundschaft mit den USA zu vernachlässigen.

Der Generalleutnant widersprach mit dieser EU-Attacke seinem Vorgesetzten, dem türkischen Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu, der erst kürzlich die EU-Mitgliedschaft des Landes als "strategisches Ziel" bekräftigte. Gleichzeitig verstieß Kilinc gegen den Grundsatz der Armee, stets mit einer Stimme zu sprechen. Deshalb wurde er prompt von einem anderen hohen General, dem Chef der Istanbuler Militärakademie Halil Ibrahim Firtina, öffentlich zurückgepfiffen. Kilinc sah sich schließlich zu der Erklärung gezwungen, er sei falsch verstanden worden.

Ein bloßer Lapsus war die Kilinc-Rede trotzdem nicht. Je näher die Türkei an die EU heranrückt, desto mehr wird den Politikern und Militärs in Ankara bewusst, dass ihr Land in Vorbereitung auf die Mitgliedschaft völlig umgekrempelt werden muss. Und das schmeckt vielen überhaupt nicht. So erhielt General Kilinc von Politikern der rechtsnationalistischen Koalitionspartei MHP und anderen Hardlinern in Ankara Beifall und Unterstützung.