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Ein Genom wie ein Mosaik

Von Eva Stanzl

Wissen
Visualisierung des Informationswerts des Pangenoms mit Erbgut von 47 Personen - oben wie bisher nur eine Person, in der Mitte von vielen, unten mit genetischen Codes. National Human Genome Research Institute
© National Human Genome Research Institute

Ein neues Referenzgenom bildet den Menschen in größerer Diversität ab als bisher.


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Wissenschafter haben ein neues Referenzgenom für den Menschen vorgestellt, das weitaus mehr Diversität abbilden soll als bisher. Seit der Entschlüsselung der DNA im Rahmen des "Human Genome Project" 2001 wurde eine genetische Sequenz, die großteils aus dem Erbgut eines einzelnen Menschen stammt, als Referenz in der medizinischen Forschung genutzt. Das neue Set an genetischen Daten, genannt Pangenom, beruht auf dem Erbgut von zunächst 47 Personen und bildet somit die menschliche Verschiedenartigkeit besser ab.

Unser Erbgut gibt vor, wie wir uns entwickeln. Im Genom stehen die Erbinformationen einer Zelle. Es ist so etwas wie die Gebrauchsanweisung für die Bildung der Körperfunktionen, die als DNA auf 46 Chromosomen gespeichert ist. Gensequenzen unterscheiden sich allerdings von Individuum zu Individuum. Jeder Mensch ist zu mehr als 99, aber eben nicht zu 100 Prozent gleich, und diese winzigen Unterschiede leisten einen wesentlichen Beitrag zur Einzigartigkeit eines und einer jeden.

Schließung von Lücken

Neben den Gesichtszügen, der Körpergröße und dem Körperbau oder der Farbe von Haaren, Haut und Augen legt das Genom die Veranlagungen für und den Umgang des Körpers mit Erkrankungen fest. Bessere Kenntnisse von genetischen Unterschieden können bei der Diagnose, der Einschätzung des Verlaufs und der Entwicklung von Therapien helfen. Um sie erforschen zu können, nutzen Forscher das Referenzgenom. Dabei handelt es sich um eine komplette DNA-Abfolge, die als Repräsentation des Erbguts dient.

Das Referenzgenom aus dem dem Erbgut eines einzelnen Menschen wird nun durch das neue "Human Pangenome Reference Consortium" (HPRC) ersetzt. Einen ersten Entwurf stellen die Forschenden im Fachjournal "Nature" vor. Ziel des HPRC ist es, der Wissenschaftsgemeinschaft eine möglichst lückenlose Erbgutsequenz zur Verfügung zu stellen, die die Diversität der Menschen vereint. Insgesamt sollen in dem Pangenom am Ende die Erbgutsequenzen von 350 Individuen zusammengeführt werden.

Das macht es einfacher, Abschnitte im Genom einer Person, die potenziell mit Krankheiten in Verbindung stehen, zu finden. Alles, was noch nicht im Pangenom enthalten ist, stellt dann entweder die genomische Individualität einer Person dar, oder könnte in Verbindung mit einer Krankheit stehen. Obwohl das ursprüngliche Referenzgenom im Lauf der Jahre immer weiter vervollständigt worden war, konnten einige Lücken in der Sequenz nie vollständig geschlossen werden. Mithilfe neuer Sequenziertechniken und Algorithmen werden laut den Forschern nun 99 Prozent des menschlichen Genoms mit einer Genauigkeit von 99 Prozent dargestellt. Gleichzeitig repräsentiert es viele verschiedene Versionen der menschlichen Genomsequenz zur gleichen Zeit.

Die Gesamtkosten für die Arbeit des Human Pangenome Reference Consortium beziffern die US-National Insitutes of Health als Fördergeber mit 40 Millionen Dollar in den kommenden fünf Jahren.

Experten kommentieren Herangehensweise und Nutzen unterschiedlich. "Ein Referenzgenom vieler Personen mit vielen Varianten ist sehr wichtig. Jeder Mensch unterscheidet sich genetisch von jedem anderen etwa um 0,1 Prozent. Das ist unter anderem auch bei monogenetischen Erkrankungen von Bedeutung", sagt der Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger zur "Wiener Zeitung". "Kenntnisse über genetische Unterschiede spielen eine Rolle für die Diagnose von vielen Erkrankungen und die Entwicklung neuer Therapien." "Ein Genom ist wie ein Mosaik, das aus der Entfernung ein Gesamtbild ergibt. Viele Teile können durch Ähnliche ersetzt werden, ohne das Bild zu verfälschen, aber nicht alle. Ein Pangenom ist ein Katalog, der besagt, was an gewissen Stellen möglich ist, um noch ein gleichwertiges Ergebnis zu erhalten", erklärt der Computerbiologe Siegfried Schloissnig vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie, der einen "Umbruch in der Genomik" sieht.

"Die 350 ausgewählten Genome stellen einen wichtigen Zwischenschritt für die biomedizinische Forschung dar. Es bestehen allerdings weiterhin Lücken in der detaillierten Abbildung der menschlichen Diversität, etwa für Ozeanien oder das südliche Afrika", sagt der Genetiker Michael Nothnagel von der Universität Köln. Die Schließung dieser Lücken werde den Nutzen der Pangenom-Referenz noch einmal steigern.