Als "uralte Gerechtigkeitsvorstellung" kritisieren österreichische Theologen die gewaltsame Beförderung Osama bin Ladens vom Diesseits ins Jenseits auf Befehl von US-Präsident Barack Obama.
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Dürfen Demokratien überhaupt Menschen töten? Zumindest tun es manche, siehe die Anwendung der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten. Allerdings steht hier vor der Vollstreckung des Urteils ein rechtsstaatlicher Prozess.
Dürfen Demokratien aber auch Menschen töten, ohne zuvor ein faires Verfahren abzuhalten?
Ja, wenn ein höheres Gut auf dem Spiel steht. Das Leben seiner Bürger ist aus Sicht eines Staates ein solches Gut. Bin Laden hat nicht abstrakten Institutionen den Krieg erklärt, sondern den Bürgern des Westens und allen, die in seinen Augen deren vermeintlich gottlosen Lebensstil unterstützen.
Dass es sich dabei nicht bloß um wirres Gerede handelte, haben Bin Laden und die Seinen zur Genüge bewiesen: Tausende unschuldige tote Zivilisten bezeugen, welche Vorstellung von Gerechtigkeit Al-Kaida hat. Jeder Staat, der seine Bürger einer solch radikalen Gefahr ausgesetzt sieht, ist zum Handeln gezwungen, wenn er keinen anderen Ausweg mehr zu erkennen vermag.
Wer daraus ein Recht des Staates auf rücksichtslose Selbstjustiz ableitet, verkennt die Ausnahmesituation, in der sich die westliche Welt durch die radikale Kampfansage Al-Kaidas befindet - und Bin Laden war, wenn nicht schon der Kopf, so doch das Symbol der Terrororganisation.
Dennoch kann sich kein demokratischer Staat seiner Rechtsstaatlichkeit einfach von Fall zu Fall entledigen. Auch Massenmörder und solche, die der Mithilfe dazu beschuldigt werden, haben das Recht auf ein faires Verfahren. Das außerhalb jeglicher Jurisdiktion auf Kuba gelegene Gefangenenlager Guantanamo ist in dieser Hinsicht noch immer ein tiefschwarzer Fleck auf der Weste der westlichen Führungsmacht.
Tatsächlich erstaunlich war der weltweite Gleichklang, mit dem die Nachricht vom Tod Bin Ladens aufgenommen wurde: Allenthalben Erleichterung und Freude, kein Wort des Zweifels, ob ein anderes Vorgehen nicht der Sache des Westens angemessener gewesen wäre. Das wäre wohl bei keiner anderen lebenden Person so gewesen. Bin Laden war zum Symbol für das Böse schlechthin geworden. Hoffen wir, dass sich keine Nachfolger für diese Rolle finden. Dann bleibt vielleicht auch die Geschichte seines Todes ohne Nachahmung.