Zum Hauptinhalt springen

Ein gespaltenes Land am Tag nach der Wahl

Von WZ-Korrespondent Paul Vécsei

Europaarchiv

Meinungsforscher im Zwielicht. | Berlusconi blieb abgeschirmt. | Prodis Anhänger feierten verhalten. | Rom. Ein politisch gespaltenes Land ist am buchstäblichen "Tag danach" aus einem Wahlkampftrauma erwacht. Der Traum vom politischen Erfolg mündete für die Anhänger beider politischen Lager nach einem stundenlangen Wechselbad der Gefühle schließlich in verblüffter Erschöpfung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wer immer nun zahlenmäßig gewinnt, wir haben alle verloren, wenn Italien nun unregierbar wird", sagt ein vornehm gekleideter älterer Herr, der an einer Busstation bei der Piazza Venezia auf seinen Anschluss wartet. Kurz zuvor war eine der beiden riesigen Fahnen am zentralen Gebäude des Platzes, dem "Altar des Vaterlandes", im stürmischen Wind fast auf Halbmast abgefallen. Eine kleine technische Panne rund um diese Wahl. Dieser "Zwischenfall" wird von den Behörden jedoch rasch behoben. Bei den anderen Dingen, wie der Stimmenauszählung, dauert die Malaise jedoch länger.

Gemunkel über Wahlmanipulationen

Der aufgestaute Zorn der Italiener richtet sich nun nicht nur gegen die mehr als schleppende Arbeit des Innenministeriums. Vor allem die Meinungsforscher mit ihren Exit-Polls und die Hochrechner haben im Augenblick ganz schlechte Karten. Die lange Auszähldauer und das Zurückhaltung von Daten ließen schon am Montag Abend Gemunkel über mögliche Manipulationen aufkommen: "Da kann doch etwas nicht stimmen. Das gibt's doch nicht. Die müssen doch die entscheidenden Ergebnisse der Auslandsitaliener für den Senat schon längst haben", meinte etwa eine resolute Mittvierzigerin. Sie hatte sich gemeinsam mit tausenden anderen Anhängern zur Feier der Linken auf dem Apostelplatz versammelt. Dort hatte man sich vor einer riesigen Übertragungsleinwand zunächst zu früh gefreut. Jubel und Euphorie nach den ersten Exit-Polls, die das Mitte-Links-Bündnis von Romano Prodi um bis zu neun Prozent vorne sahen. Ungläubiges Staunen als der Vorsprung nach und nach schmolz. Und blankes Entsetzen, als gegen Mitternacht Berlusconi nach Berechnungen des staatlichen Fernsehens in beiden Kammern plötzlich vorne lag.

Pfiffe für das Regierungslager

Die Verunsicherung fand in der TV-Übertragung ein verzweifeltes Ventil: Auftritte von Exponenten des Regierungslagers wurden am Piazza St. Apostoli mit gellenden Pfiffen begleitet. "Ich bin sehr enttäuscht", sagt eine junge Studentin. "Unsere Zukunft liegt wohl jetzt nur im Ausland," hoffte sie auf die noch ausstehenden Stimmen der Auslandsitaliener, die schließlich doch noch eine Entscheidung im Patt um den Senat brachten. Der populäre Fernsehmoderator Bruno Vespa versucht indessen wiederholt einen Ausstieg aus der schon Stunden dauernden, längst überzogenen Wahlsendung. Es gelingt und gelingt nicht einen Schlusspunkt zu finden. Mangels brauchbarer Ergebnisse werden die in die Länge gezogenen Expertenanalysen zur Geduldstortur.

Silvio Berlusconi hat sich indessen in seinem Palazzo Grazioli im Zentrum Roms eingefunden. Dass er nicht in Mailand blieb, deuteten einige Auguren unter den Journalisten bereits als Indiz für seinen bevorstehenden Wahlsieg. Denn in Rom verbreiten sich seit jeher Gerüchte schnell, - vor allem wenn Fakten fehlen. Berlusconi blieb aber in seinem Refugium abgeschirmt. Die Berichterstatter bekamen einen eigenen Raum zugewiesen. Rund um das Gebäude hatte sich kaum Fußvolk der Forza Italia eingefunden. Erklärungen des sonst wortgewaltigen Regierungschefs gab es in dieser Lage vorerst keine.

Sein Kontrahent Romano Prodi ist der erste der beiden Spitzenkandidaten, der gegen zwei Uhr morgens das Schweigen bricht. Vor den seit über zehn Stunden auf dem Apostelplatz unentwegt Ausharrenden erklärt er sich nach Vorliegen des vorläufigen Ergebnisses für die Kammer selbst zum Wahlsieger.

Prodis Fans geben sich erleichtert, aber echte, ausgelassene italienische Feierstimmung will zu dieser späten Stunde nicht mehr aufkommen. Schließlich steht zu diesem Zeitpunkt das entscheidende Senatsergebnis noch lange aus. So meint eine hagerer junger Mann in einer Reaktion: "Dieses Land will sich ganz offensichtlich nicht ändern und die geringe Differenz ist so für uns Linke kein echter Erfolg".

Prodi: Mit Besonnenheit zum SiegStarke Kritik an MeinungsforschernIn Italien beginnt das Ringen um den neuen StaatschefProdi: Mit Besonnenheit zum SiegStarke Kritik an MeinungsforschernDie Italienwahl in ZahlenProdi: Wir können 5 Jahre regierenWas Prodi als Premier in Italien verändern willSVP behauptete ihre SitzeAnalyse: Zitterpartie am Tiber