Pädagoge Hackl über die Schultests und Ideen gegen die Leistungskluft.
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Wien. Pisa, Pirls und Timss, das sind die drei kleinen Schreckgespenster heimischer Bildungspolitik. Denn wann immer aktuelle Testergebnisse dieser internationalen Studien veröffentlicht werden, ist ein Aufschrei über die meist schlechten Resultate der österreichischen Schüler und Schülerinnen die Folge.
Politiker aller Fraktionen lesen dann die Ergebnisse interessanterweise stets als Beleg der von ihnen vertretenen Forderungen. So interpretierte die FPÖ die bei Pirls (Lesen) und Timss (Mathematik und Naturwissenschaften) festgestellte große Bandbreite der schulischen Leistungen als "bestes Argument gegen die Gesamtschule", während die Grünen genau das Gegenteil herauslasen.
Für die Lehrergewerkschaft ist das Bildungsministerium in erster Linie für das schlechte Abschneiden verantwortlich, und Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz sieht Rückenwind für die von ihm vertretene Schaffung eines Deutschunterrichts für Kinder mit sprachlichen Defiziten vor dem Eintritt in die Regelschule.
Erziehungswissenschafter wie Bernd Hackl, der Leiter des Instituts für Schulpädagogik an der Universität Graz, stöhnen mittlerweile, wenn wieder einmal Studien-Ergebnisse publiziert werden, nicht zuletzt wegen derartiger Reaktionen. "Finanzstarke Unternehmungen wie Pisa, die ihre Studien mit großem Aufwand inszenieren, beeinflussen das allgemeine Denken über die Schule nachhaltig."
Hackl verweist auf die OECD als Trägerorganisation der Pisa-Tests, "und die steht für wirtschaftliche Entwicklung, die menschliche Potenziale als Humankapital bezeichnet". Dementsprechend definiere die OECD auch, was gute Schüler können müssten. Doch genau bei dieser Frage scheiden sich in der Wissenschaft die Geister. "Für die einen ist eine Schule ein Instrument des ökonomischen Erfolgs, eine Vorbereitung auf den Wettkampf in der globalisierten Welt. Andere finden, eine Schule ist ein Ort, an dem junge Menschen bestimmte fundamentale Dinge lernen, die für die Gestaltung ihres Lebens wichtig sind", sagt Hackl.
Moderne Didaktik in Gefahr
In den vergangenen zehn Jahren haben Pisa und Co. nun aber die Meinungsführerschaft übernommen, wodurch Zentralisierung, Ökonomisierung und Standardisierung in der Schulpolitik voranschreiten würden, erklärt der Wissenschafter. Er sieht moderne didaktische Methoden, die es über die Jahre von Alternativschulen in die Breite geschafft haben, gefährdet. "In den letzten fünf bis zehn Jahren wird versucht, das wieder zurückzudrängen, auch wenn rhetorisch noch daran festgehalten wird."
Der Rahmenlehrplan wurde durch einen verpflichtenden Lehrplan, die individuelle Matura durch eine zentralisierte Reifeprüfung ersetzt. "Das Freie, das Kreative geht verloren", sagt Hackl. Dazu nehme der allgemeine Stress für die Kinder zu, dem viele Lehrer wiederum mit Gegenstrategien begegnen. "Die Praktiker versuchen, es den Kindern zu erleichtern. Die Kinder sollen lernen, ohne zu merken, dass sie lernen. Das ist zwar auch nicht falsch, doch wenn sich die Kinder nur zurücklehnen und schauen, mit welchen Reizen sie gefüttert werden, ist das nicht sinnvoll. Und da gibt’s schon eine Tendenz in der modernen Didaktik, und die ist wahrscheinlich langfristig eher tödlich, da die Kinder dahinhingehend erzogen werden, dass Lernen nie anstrengend sein soll", sagt Hackl.
Moderne Pädagogik müsse aber sehr wohl das Individuelle berücksichtigen, kollektiver Drill und Druck wie in Fernost würde dort zwar "hohe Erfolge im Output" generieren, "für individuelle Selbstfindung bleibt aber wenig Platz", sagt Hackl. In China gibt es da und dort auch schon ein zaghaftes Umdenken, ob der Weg des Drills tatsächlich der Richtige ist. Hackl verweist in diesem Zusammenhang, dass das Wort Schule nicht zufällig vom griechischen schola, also Muße kommt.
Integrative Pädagogik
Dass die nun veröffentlichten Pirls- und Timss-Tests offenbarten, dass Migranten in den vergangenen Jahren die Defizite verringern konnten, ging im ersten Aufschrei fast unter und kann doch als kleiner Erfolg gesehen werden. Denn höhere Punkte in den Tests zu erreichen ist das eine, die Leistungen der Schwächsten zu verbessern, sei aber viel wesentlicher, wie auch Hackl sagt, der sich für einen integrativen Ansatz ausspricht.
Man solle die Besten und Schlechtesten nicht in Spezialschulen stecken, sondern die Leistungsfähigeren dazu verwenden, weniger Leistungsfähige zu betreuen. "Hier gibt es interessante Experimente, bei denen Schüler andere Schüler lehren, und das hilft beiden. Der weniger Gescheite kann Anschluss finden, und der unterrichtende Schüler kultiviert das eigene Wissen, weil er sich ständig damit beschäftigt."