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Ein Glaubensstreit der anderen Art

Von Katharina Schmidt

Politik

Scientology klagte den Aussteiger und vehementen Kritiker Wilfried Handl auf Unterlassung – Vergleich.


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Wien. Eigentlich war der Termin am Donnerstag am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen geradezu prädestiniert dazu, filmreif alte Gräben aufzureißen. Scientology – konkret der "Verein Scientology Kirche Österreich" und der "Verein Scientology Mission Österreich" – hatte einen Aussteiger auf Unterlassung geklagt. Doch statt sich in wechselseitigen Drohungen zu ergehen gaben sich die Gegner fast schon amikal – und man verglich sich.

Wilfried Handl kam Mitte der 1970er Jahre als 20-Jähriger zu Scientology und blieb  28 Jahre lang bei dem Verein – das Wort "Sekte" hört man dort nicht gerne, eine anerkannte Religionsgesellschaft ist Scientology, das hierzulande je nach Schätzung 300 bis 6000 Mitglieder hat, aber auch nicht. Um 1980 war Handl gar als  "Leitender Direktor" der höchste Scientologe in Österreich. Er erreichte das "Clear", einen Zustand, in dem nach Scientology-Definition der eigene "reaktive Verstand" ausgeschaltet ist. Laut Scientology-Gründer L. Ron Hubbard soll, so schreibt Handl in seinem Blog, in diesem Zustand nicht einmal ein Schnupfen möglich sein. Handl allerdings erkrankte 2001 an Krebs – und fing an zu zweifeln. 2002 trat er aus und wurde einer der schärfsten Kritiker. Seit 2005 schreibt er Bücher, hält Vorträge an Schulen und an der Uni – und Handl betreibt einen Weblog, in dem er fast täglich neues Material veröffentlicht. Lange hat Scientology nicht auf die Kritik reagiert.

Ganz ausgekommen ist er aber doch nicht: Im vergangenen Sommer brach das Hacker-Kollektiv Anonymous Austria in die Server seines Intimfeinds Scientology ein und veröffentlichte E-Mails im Ausmaß von 3,2 Gigabyte. Für Handl ein gefundenes Fressen. Er postete einiger dieser Mails.

Schwere Vorwürfe in Mails

Unter anderem habe sich jemand von Scientology gezielt an einen Polizisten herangeschlichen, um ihn für die eigene Sache einzuspannen. Zudem habe ein hochrangiger Vertreter der Sekte einen Allgemeinmediziner, der ebenfalls Scientology-Mitglied ist, dazu angehalten, über einen seiner Patienten Bericht zu erstatten. Dem Mitglied wurde ein Aufenthalt auf der Psychiatrie "vorgeworfen". Für Scientologen ist das ein absolutes No-Go, da sie die psychiatrische Behandlung an sich ablehnen. Handl habe auf E-Mail-Adressenund Namen von Beteiligten nur unzureichend unkenntlich gemacht. Scientology fuhr daraufhin schwere Geschütze auf: Der Verein erstellte Strafanzeige – Handl sein einer der Hintermänner von Anonymous, was dieser bestreitet. Das Verfahren wurde im Oktober eingestellt, mittlerweile aber wieder aufgenommen. Denn Scientology hat ein belastendes Gutachten vorgelegt. Ermittelt wird wegen mehrerer Delikte, die alle mit weniger als einem Jahr Haft bedroht sind. Abgeblitzt sind die Scientologen mit einer einstweiligen Verfügung  zur Entfernung der Mails.

Gemessen an dieser Vorgeschichte lief der Prozesstermin am Donnerstag in amikaler Atmosphäre ab: Die beiden Scientology-Vertreterinnen Sonja Henkel und Angelika Thonauer kamen mit versteinerten Gesichtern, tauten während der Verhandlung aber auf. Ihr ginge es einzig darum, dass Namen und Positionsbezeichnungen in den Mails unkenntlich gemacht würden, sagte Thonauer. Worauf Handl meinte, der inkriminierte Mailverkehr sei ohnehin schon so alt, daher habe er kein Problem damit. "Es geht mir nicht darum, Einzelpersonen zu diskreditieren, ich will nur das System kritisieren", sagte er.

Aggressiver wurde der Ton, als es um Scientology an sich ging – oder um die Frage, ob sie eine Religion ist oder "ein totalitäres System, das dem Einzelnen keine Chance lässt", wie Handl es ausdrückte. Man einigte sich schließlich darauf, dass Scientology Handls Prozesskosten von etwas mehr als 6000 Euro übernehmen würde – womit er die für den Prozess gesammelten Spenden wie geplant an die Gesellschaft gegen Sekten und Kultgefahren überweisen kann. Dafür muss Handl alle personenbezogenen Informationen aus den geleakten Mails und den Kommentaren entfernen.

Nicht einigen konnte man sich in der Frage, welche E-Mails rein privat sind und daher gelöscht werden sollen. Handl dazu Richtung Thonauer: "Ich gebe Dir mein Ehrenwort, dass ich die privaten Mails lösche." Und so verließen Henkel, Thonauer und Handl nach eineinhalb Stunden Prozess zufrieden das Gericht. Handl und Thonauer haben bereits einen Termin zum Arbeitskaffee vereinbart – dann wird man klären, welche Mails zu löschen sind. Gemeinsam.
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