Zum Hauptinhalt springen

Ein großes Missverständnis?

Von Wolfgang Tucek, Brüssel

Europaarchiv

Der Anfang vom Ende des Verhandlungstermins der Europäischen Union mit Kroatien war ein Brief an die luxemburgische Ratspräsidentschaft von Chefanklägerin Carla del Ponte. Der letzte aussichtslose Versuch der Kroaten, den 17. März zu retten, ist ein Brief an dieselbe Adresse.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Alles sei ein großes Missverständnis gewesen, beteuert die kroatische Außenministerin Kolinda Grabar-Kitarovic in ihrem Schreiben vom 11. März hinsichtlich des Hauptvorwurfs des UNO-Tribunals in Den Haag (ICTY). Dass der wegen schwerer Kriegsverbrechen angeklagte General Ante Gotovina "in Reichweite der kroatischen Behörden" sei, war Chefanklägerin del Ponte besonders aufgestoßen. Sie hatte in ihrem exakt einen Monat davor verfassten Brief auf "harte Beweise" dafür verwiesen, dass die Kroaten mehrere Gelegenheiten verpasst hätten, den Gesuchten zu fassen. Explizit erwähnt wurde der "jüngst" von hohen Regierungsvertretern hergestellte Kontakt zu dem in weiten Teilen Kroatiens als Kriegshelden verehrten Gotovina - mit einem "vermutlich" darauf erfolgten Treffen nahe Mostar in Bosnien-Herzegowina.

Es habe keinen Kontakt und schon gar kein Treffen gegeben, versuchte Grabar-Kitarovic nun klarzustellen, dieser Vorwurf beruhe auf einer "unglücklichen Fehleinschätzung". Ein gewisser Jure Kapetanovic habe sich der kroatischen Regierung im letzten Oktober zwar als Vermittler angeboten, um Gotovina zur freiwilligen Kapitulation zu überreden. Ob Kapetanovic aber tatsächlich Kontakt zum Gesuchten hatte, sei nicht bekannt. Das ICTY-Büro del Pontes sei von dem Vorfall unterrichtet gewesen. Gegen den vermeintlichen Kontaktmann sei Anfang März Betrugsanklage erhoben worden. Auch seien die Mitarbeiter der Chefanklägerin vom kroatischen Geheimdienst zu keiner Zeit gezielt bei ihrer Arbeit behindert worden, versicherte die Außenministerin.

Del Ponte bestätigte jedoch gestern den Vorwurf der verpassten Zugriffsmöglichkeit. Diplomaten in Brüssel erklären, die Einschätzungen des Tribunals werden von Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste gestützt. Erst diesen Montag haben die kroatischen Behörden schließlich das Vermögen des Generals im Land eingefroren.