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Ein Grüner könnte erstmals Ministerpräsident werden

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Europaarchiv

CDU-Landeschef hat schlechte Karten. | Atomfrage spaltet das Land. | Stuttgart. "Angst? Wieso Angst?" Der Mann schaut, als sei man nicht ganz hell im Kopf. Er steht im kleinen Supermarkt des Marktplatzes von Neckarwestheim. Die süddeutsche Gemeinde liegt auf einem Hügelchen, rundherum wächst Wein, einige der Dächer in der Umgebung haben Solarzellen. Ein paar hundert Meter vor dem Mann stehen zwei Atomreaktoren: Neckarwestheim 1 und 2. Block 1, einer der ältesten Reaktoren Deutschlands, wurde vor ein paar Tagen abgeschaltet "Der gehört so schnell wie möglich wieder ans Netz! Wir wollen doch nicht, dass die Lichter ausgehen!", ruft der Mann. Man sei hier ja schließlich nicht in Japan, sondern in Deutschland, die AKW seien sicher.


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In der 30 Kilometer entfernten Landeshauptstadt Stuttgart tritt Winfried Kretschmann auf eine Bühne auf dem Schlossplatz. Man habe die Lektion schon 1979 bei dem Atomunfall von Harrisburg in den USA gelernt. "Es ist eine menschenfeindliche Technologie!", erklärt der Spitzenkandidat der Grünen. Der 62-Jährige könnte nicht nur der erste grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden, sondern von einem deutschen Bundesland überhaupt. Zusammen mit der SPD kommen die gleich starken Grünen laut einer der letzten Umfragen bei der Landtagswahl an diesem Sonntag auf 48 Prozent, CDU und FDP hingegen nur auf 43 Prozent - und das im konservativen Kernland.

Dort regiert Stefan Mappus (CDU) erst seit einem Jahr. Sein Vorgänger Günther Oettinger wurde Energiekommissar in Brüssel. Wie der fast 45-jährige Mappus in seiner kurzen Amtszeit mit jenen umging, die gegen Stuttgart 21 sind, gefällt auch Konservativen nicht - die teilweise unter den Kritikern des teuren Bahnhofprojekts sind. Als bei einer Kundgebung im Herbst Polizisten mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Demonstranten vorgingen, hatte Mappus weitere Sympathien verspielt. Jetzt sollen "Verbesserungen" an dem Projekt vorgenommen werden.

Es gebe die Möglichkeit, "Stuttgart 21" zu stoppen, auch wenn das "natürlich Kosten verursachen würde, das müsste man dann verhandeln", sagt der Grüne Kretschmann. Mit der SPD, die das Projekt befürwortet, hat er sich ausgemacht, im Falle einer Regierungsbeteiligung eine Volksabstimmung durchzuführen. Auch sonst spricht Kretschmann viel von "Bürgergesellschaft": Der Ton müsse sich in der Politik ändern, sagt er, von dem die "FAZ" geschrieben hat, seine Vorliebe für theoretischen Überbau unterscheide ihn von der Mehrzahl der Landespolitiker, die gar nicht mehr in der Lage seien, grundsätzliche Fragen zu stellen.

Seine früheren Ambitionen für Schwarz-Grün haben sich seit dem Amtsantritt von Mappus und den AKW-Laufzeitverlängerungen der Regierung verflüchtigt. Kretschmann wirbt nun für Grün-Rot, der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid für Rot-Grün. Der 37-jährige Schmid präsentiert sich als "Brückenbauer". Seine Ehe mit einem einstigen "türkischen Gastarbeiterkind" dient dafür in manchem Portrait als Beispiel.

Riskanter Energie-Deal

Gemeinsam stellen Kretschmann und Schmid die "Energiewende" für ihr Land in Aussicht. Denn anders als die beiden ist der amtierende Ministerpräsident ein glühender Verfechter der Atomkraft. Seit der Katastrophe in Japan aber ist die Stimmung in der Bevölkerung, was die Atomkraft betrifft, noch schlechter geworden. Mappus will beruhigen: "Lassen Sie sich nicht kirre machen", ruft der 44-Jährige auf einer Wahlkampfveranstaltung den Pensionisten eines Altersheims zu. Die Grünen seien ja ohnehin gegen alles, und die Sozialdemokraten könnten nicht mit Geld umgehen. Vom EnBW-Aktienrückkauf sagt er nichts.

Im Dezember hatte Mappus im Alleingang 112,5 Millionen Aktien von Electricité de France an der Energie Baden-Württemberg gekauft. 4,7 Milliarden Euro kostete das, kreditfinanziert. Mappus will einen Teil davon weiterverkaufen, Hauptsache, kein "ausländischer Investor" bekomme die Mehrheit. Für das Land dürfte der Deal kein guter sein - mit der Brennelementesteuer und der nun wieder aktuellen Frage, wie lange die AKW am Netz bleiben werden, drohen der EnBW-Aktie Verluste von 30 Prozent. Grüne und SPD klagen.

Auch die Liberalen sind wenig begeistert. Und für sie ist nicht nur eine weitere Regierungsbeteiligung unsicher, sondern sogar, ob sie im Landtag bleiben.