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"Ein guter Wille ist ein guter Start"

Von Martyna Czarnowska aus Istanbul

Politik

Viele Details sind noch offen. | Debatte um einstiges Tabuthema. | Istanbul. Erdem gefällt der Gedanke gar nicht. "Wenn dieser Mann die Kurden repräsentieren soll, dann sage ich mich von meinem Kurdentum los", sagt der 36-jährige Geschäftsmann. "Dieser Mann" ist der ehemalige PKK-Führer Abdullah Öcalan, der auf der Gefängnisinsel Imrali seine lebenslange Haftstrafe absitzt. Er hat angekündigt, einen Friedensplan vorzulegen, der ein Ende des Kampfes zwischen der türkischen Armee und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorsieht.


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Erdem hat nur wenig Interesse an diesen Aussagen - so wie er es ablehnt, die Interessen der als Terrororganisation eingestuften PKK mit denen der Kurden gleichzusetzen. Doch selbst wenn der Einfluss Öcalans stark geschwunden ist, hat sein Name unter etlichen Kurden noch immer Gewicht, wenn auch niemand genau sagen kann, wie viel.

Details seines Plans - dessen Vorstellung sich seit knapp zwei Wochen verzögert - sind freilich noch nicht bekannt, ebenso wenig wie die genauen Vorschläge der türkischen Regierungspartei AKP, die den jahrzehntelangen Konflikt mit fast 40.000 Toten beilegen sollen.

Immerhin ist überhaupt die Rede von einem "Kurdenproblem", von Unterricht in kurdischer Sprache, von der Rückbenennung einst kurdischer und später türkisierter Ortsnamen, von Minderheitenrechten - in einem Land, wo die Millionen Kurden nicht als Minderheit anerkannt sind und wo sie bis 1991 ihre Sprache nicht in der Öffentlichkeit gebrauchen durften.

Die Opposition will nicht mitziehen

Seit Wochen wirbt Innenminister Besir Atalay für ein Regierungspaket mit dem Namen "Kurden-" oder "Demokratisierungs-Initiative". Er sprach mit Politikern, einflussreichen Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaftern, Nichtregierungsorganisationen; und sogar von Seiten des Militärs kamen Worte der Ermunterung.

Nur: Die Opposition stellt sich quer. So lehnt Devlet Bahceli, Parteiführer der rechtsnationalistischen MHP, ein Treffen mit dem Innenminister ab und ortet in den Bemühungen der Regierung den Versuch der USA, die Türkei zu spalten. Nähere Erklärungen blieb er aber schuldig.

Allein die Debatte zeigt jedoch, wie sehr sich die Haltung der offiziellen Türkei zu einem der größten sozialen Probleme des Landes geändert hat. Dilek Kurban von der Stiftung für wirtschaftliche und soziale Studien (Tesev) ortet denn auch politischen Willen, den Konflikt zu beenden. "Und ein guter Wille ist ein guter Start", sagt die Politologin, die mehrere Studien zum Kurdenproblem mitverfasst hat.

Für die Bewegung sieht sie mehrere Gründe. Zum einen fördere die Annäherung der Türkei an die Europäische Union die Demokratisierung, zum anderen sei auch die US-Administration anscheinend an einer Lösung des Problems interessiert. Vor allem aber hätten die Menschen begonnen, die Rolle des Militärs in der Politik in Frage zu stellen und sähen keinen Sinn mehr in den Kämpfen, bei denen noch immer an der Grenze zum Nordirak jeden Monat Soldaten und PKK-Anhänger sterben.

"Die Menschen wollen Frieden, Demokratie, ein besseres Leben", fasst Kurban zusammen. "Früher war es schwieriger, seine Stimme gegen den Krieg zu erheben."

Dass die Regierung anscheinend noch keinen fertigen Lösungsplan habe, findet die Wissenschafterin "vielversprechend". Es sei ein Zeichen von Demokratie, dass die Regierung nun anscheinend Ideen von verschiedenen Gruppen einholt.

Tesev selbst hat bereits vor Monaten Vorschläge präsentiert, die von Sprachrechten über Bildungs- und Wirtschaftsmaßnahmen bis hin zu Schritten für die Rückkehr jener Menschen reichen, die vor allem in den 1990er Jahren wegen Kämpfen aus ihren Dörfern vertrieben wurden. Laut Dilek Kurban müsse auch das Misstrauen zwischen den Kurden und dem Staat, genährt durch jahrzehntelanges Unrecht, bekämpft werden. "Die Menschen müssen spüren, dass sie Teil dieses Staates sind."

Die Türkei müsse Kurden und die kurdische Sprache akzeptieren, betont auch der Soziologe Mazhar Bagli von der Dicle Universität in der südostanatolischen Stadt Diyarbakir. "Die offizielle Sprache, aufgeladen mit der Ideologie, dass jeder in der Türkei Türke zu sein hat, muss sich ändern."

Einen Schritt in diese Richtung setzte Premier Recep Tayyip Erdogan vor kurzem in einer emotionsgeladenen Rede vor dem Parlament in Ankara. Er sprach vom Schmerz der Mutter eines gefallenen Soldaten und der eines getöteten PKK-Kämpfers - und setzte ihn gleich. Er würdigte kurdische Dichter und den Sänger Sivan Perver, der in den 70er Jahren keine Konzerte geben durfte, weil er auf Kurdisch sang. Dieser Name könnte etliche Kurden mehr ansprechen als der von Abdullah Öcalan.