Österreichs Regierung stimmte in Brüssel mit der EU-Kommission die Schwerpunkte des EU-Vorsitzes ab.
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Brüssel. Es könnte wie ein Klassentreffen ausgesehen haben. Doch waren es nicht Schüler, die sich um halb sieben Uhr morgens auf dem Wiener Flughafen zu einer recht vergnügten Gruppe zusammenfanden. Sondern die Mitglieder der österreichischen Regierung. Die meiste Aufmerksamkeit auch bei den internationalen Fluggästen erregte dabei der Bundeskanzler - immerhin war Sebastian Kurz von Kameras umringt und gleich von mehreren Polizisten beobachtet, was so manchen Passagier zu Selfies veranlasste.
"Wir sind gerne so früh aufgestanden", erklärte Kurz etwas später. Denn es gehe um den EU-Vorsitz, den Österreich Anfang Juli übernimmt und das Arbeitsprogramm, das das Kabinett nun auch mit der EU-Kommission besprach. Die Reise ging also nach Brüssel - und das in der Economy-Klasse, wie Vizekanzler Heinz-Christian Strache gleich mehrmals betont haben wollte. So saß der Bundeskanzler in der neunzehnten Reihe, der Finanzminister in der 31., die Außenministerin in der Reihe schräg dahinter.
Doch das Flugzeug hob nicht ab, nicht pünktlich. So war die Autokolonne, die dann mit eingeschalteter Warnblinkanlage durch die belgische Hauptstadt Richtung Schuman-Platz mit all seinen EU-Gebäuden eilte, spät dran. Und ebenfalls im Eiltempo wurde die - ansonsten im Bundeskanzleramt stattfindende - Ministersitzung in der Ständigen Vertretung Österreichs, der EU-Botschaft abgehalten. Diese hat sich rechtzeitig vor der Präsidentschaft einen neuen Eingangsbereich verpasst; auf der Tür prangt schon der Schriftzug des Vorsitzlandes. Drinnen drängten sich Mitarbeiter, Repräsentanten von Ministerien und Interessensvertretungen. Die gesamte Regierungsmannschaft ist nicht so oft zu sehen.
Kurze Zeit später saß sie der EU-Kommission gegenüber. In bilateralen Gesprächen und in großem Kreis war von den österreichischen Vorhaben im kommenden Halbjahr die Rede. Dabei wolle Wien ein Brückenbauer sein, sagte Kurz einmal mehr. Das Miteinander in der EU solle wieder in den Fokus gerückt werden.
Zurück in "sichere Zonen"?
Das Thema, bei dem der Kanzler tiefe Gräben in der Gemeinschaft ortet, ist eines, das er immer wieder anschneidet: illegale Migration und die Aufnahme von Flüchtlingen. Da er nicht davon ausgeht, dass es eine Einigung auf einen verbindlichen Schlüssel zur Verteilung von Asylwerbern geben wird, pocht er auf etwas, das so gut wie alle Mitgliedstaaten unterstützen. Der Schutz der EU-Außengrenzen habe Priorität, heißt es in den meisten Hauptstädten. "Ein Europa, das schützt", lautet denn auch das Motto des österreichischen EU-Vorsitzes.
Unter anderem plädiert Wien für eine personelle und finanzielle Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex, was auch den EU-Plänen entspricht. Außerdem will Kurz "wirkungsvolle Möglichkeiten" diskutieren, um das Ablegen von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer zu verhindern und dabei mit Transitländern in Afrika zu kooperieren. Illegale Migration solle schon an der EU-Außengrenze gestoppt und Einwanderungswillige sollen zurückgeschickt werden, entweder ins Herkunftsland oder in eine "sichere Zone" außerhalb der EU. Die Idee solcher Flüchtlingszentren ist nicht neu; sie bleibt umstritten.
Gleichzeitig hat die Regierung Vorschläge, wie Migration innerhalb der Union gesteuert werden könnte - und das sorgt für noch mehr Zwist. Denn dass Strache sich Einschränkungen der Personenfreizügigkeit vorstellen kann, löste bei manchen Empörung aus. Der Vizekanzler relativierte, er wolle lediglich über negative Entwicklungen diskutieren, zu denen etwa gehöre, dass Pflegekräfte aus der Slowakei in einem anderen EU-Land arbeiten und in ihrer Heimat fehlen würden. Kurz wiederum ergänzte, dass die Mindestsicherung für Nicht-Österreicher erst nach fünf Jahren Aufenthalt zugänglich sein soll.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht dem österreichischen Vorsitz jedenfalls "mit großen Erwartungen" entgegen. In "Substanzfragen" würden seine Behörde und die Regierung "Hand in Hand gehen", befand er nach dem Treffen mit Kurz. Unterschiedliche Wahrnehmungen räumte er dennoch ein - etwa in den Gesprächen über das EU-Budget. Das will Wien nicht erhöhen.
Kritik von österreichischen sozialdemokratischen und grünen EU-Abgeordneten an der Brüsseler "Inszenierung" und "netten Fototerminen" ohne Substanz wiesen Kabinettsmitglieder von sich. Viel Zeit blieb ihnen dafür freilich nicht. Um vier Uhr nachmittags bewegte sich die Autokolonne schon wieder zum Brüsseler Flughafen zurück.
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