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Terroristen überrollen Irak - US-Präsident Obama sucht nach passender Antwort - Kritiker werfen ihm Unentschlossenheit vor.
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Bagdad. Aus drei Richtungen drangen die islamistischen Isis-Kämpfer am Freitag nach Bagdad vor - von Anbar im Westen, Salaheddin im Norden und von Dörfern im Osten kamen beunruhigende Nachrichten von entschlossenen Trupps in schwarzer Kampfmontur. Zwischen Tikrit und Samarra nahe der Ortschaft Dur sollen die Aufständischen zahllose Fahrzeuge zusammengezogen haben.
Die Männer der Isis können aus dem Vollen schöpfen. Bei ihrem überraschenden Vorstoß über die Millionenstadt Mossul in Richtung Süden sind ihnen schwere Waffen und erhebliche Geldmittel in die Hände gefallen. Waffen, die zum Teil über einen breiten Korridor nach Syrien gebracht werden, um dort gegen die Armee Bashar al-Assads eingesetzt zu werden. Die irakische Regierung unter Nuri al-Maliki ist allerdings in einer weit bedrohteren Lage als der Diktator in Damaskus. Bagdad kündigte an, die Hauptstadt verteidigen zu wollen und rief alle Iraker zu den Waffen. Man habe "einen neuen Verteidigungsplan erstellt um Bagdad zu schützen", hieß es in einer kryptischen Mitteilung des irakischen Innenministeriums. Wachposten wurden verstärkt, überall in der Stadt patrouillieren schwer bewaffnete Einheiten.
In den meisten Vierteln der irakischen Hauptstadt geht das Leben laut Augenzeugen dennoch seinen üblichen Lauf, der auch so oft genug von blutigen Bombenanschlägen geprägt ist. Dass die Isis-Islamisten 60 Kilometer weiter zum Sturm ansetzen, ist nur ein weiter Stein im Gewalt-Mosaik. Fallweise bilden sich Schlangen vor Geschäften, zahlreiche Männer finden sich vor Rekrutierungsstellen ein, um sich bewaffnen zu lassen.
Außerhalb Bagdads sieht es ganz anders aus. Hunderte Zivilisten sollen bei den Kämpfen schon ums Leben gekommen sein, zehntausende leiden Hunger, sagt die UNO. Die Isis-Kämpfer gehen unglaublich brutal vor, Exekutionen und Verstümmelungen sind an der Tagesordnung.
Was tun?
In Washington macht man sich Sorgen, denn von dem neuen Terror-Staat würde eine reale Gefahr für den Westen ausgehen. Die Strategen wissen, dass es die USA waren, die die Grundlagen für die missliche Lage geschaffen haben. Immerhin war es die Entscheidung von George W. Bush und seinen Beratern, die Streitkräfte 2003 auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen einmarschieren zu lassen und Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Die Folge war, dass sich das Land so weit destabilisierte, dass es nun vollständig zu zerbrechen droht.
Die Frage ist nun, wie die USA, die sich im Irak 2003 bis 2011 eine blutige Nase geholt haben, auf den blitzartigen Vormarsch der Isis reagieren werden. Außenminister John Kerry hat angekündigt, dass US-Präsident Barack Obama relativ rasch eine Entscheidung treffen wird. Dass Washington wieder Bodentruppen in das Zwischenstromland schicken wird, kann ausgeschlossen werden. Man werde Unterstützung anbieten, aber keine Truppen senden, sagte Obama am Freitag in einem kurzfristig anberaumten Pressetermin. Es liege am Irak als selbstständige Nation seine Probleme zu lösen. "Es kann im Irak keinen Frieden geben, wenn sich örtliche Politiker stets auf amerikanische Hilfe verlassen."Doch Obama räumte ein, dass die irakische Armee offensichtlich nicht in der Lage sei, wichtige Städte zu verteidigen.
Luftschläge sind möglich. Dass man damit Kampfverbände entscheidend schwächen kann, hat der Krieg gegen Muammar Gaddafi in Libyen bewiesen. Obama erwägt diese Option - möglich wäre auch ein Drohnen-Einsatz -, der Präsident ist aber noch nicht zu einer Entscheidung gekommen. Immerhin ist ein US-Flugzeugträger auf dem Weg in den Persischen Golf. Kopfzerbrechen bereitet, dass die Kampfjets abgeschossen werden könnten. Oder, was realistischer ist: dass die Isis-Männer, die wenig Skrupel kennen, Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzen oder sich unter harmlose Bürger mischen. Der einfachste Weg ist natürlich, die irakische Armee mit zusätzlichem Geld und Material auszustatten. Hier sind in Washington bereits Entscheidungen gefallen, es sollen neue Gelder fließen. Der Haken an der Sache ist, dass die Soldaten der irakischen Armee wenig bis keine Kampfmoral aufweisen (siehe ausführlicher Bericht Seite 3). Augenzeugen berichten von Soldaten, die die Waffen einfach fallen lassen, sich ihrer Uniform entledigen und sich in Sicherheit bringen. Die USA kennen dieses Verhalten nur zu gut. 2003, beim Einmarsch in den Irak, hat man davon profitiert.
Taten sind gefragt
Sicher ist, dass Obama handeln muss, will er einen neuen Terror-Staat auf irakischem und syrischem Boden verhindern. Die US-Republikaner werfen dem Präsidenten schon länger Unentschlossenheit und eine konturlose Außenpolitik vor. Jetzt kommt er weiter unter Druck.
Die langfristig erfolgreichste Strategie wäre wohl eine nicht militärische und würde aus einer Beteiligung aller religiösen Gruppen an der Regierung bestehen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier etwa drängt auf eine Regierungsumbildung, um die Lage zu stabilisieren. Bis jetzt hat es Maliki verabsäumt, sein Machtmonopol abzugeben. Das rächt sich bitter. So hat sich das irakische Parlament am Donnerstag geweigert, Notstands-Gesetze zur Bekämpfung der Krise zu billigen.
Die Türkei, die zuletzt von einem möglichen Militärschlag gegen die Isis-Kämpfer gesprochen hat, hält ebenfalls einen Respektabstand zu dem Brandherd ein. Man bemühe sich bei der Befreiung der türkischen Geiseln, die in den Händen der Islamisten sind, um eine diplomatische Lösung, so Premier Recep Tayyip Erdogan.
Die kurdischen Peshmerga-Kämpfer nutzen jetzt das Machtvakuum um ihren Einfluss im Norden zu stärken. Ankara sind die Kurden als Puffer lieber als die Islamisten, die man im Kampf gegen Bashar al-Assad durchaus unterstützt hat.