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Die Südkoreaner haben nun eine viel bessere Meinung von Kim Jong-un - und stellen dessen Treffen mit Südkoreas Staatschef Moon Jae-in nach.
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Namyangju. Als Kim Jong-un am 27. April die steinerne Treppe der Panmun-Halle zur innerkoreanischen Grenze heruntersteigt, geht ein Raunen durch das Pressezentrum im 20 Kilometer entfernten Ilsan. 2800 akkreditierte Journalisten verfolgen auf einem überdimensionalen Bildschirm die erste Begegnung der zwei koreanischen Staatschefs: Kim schüttelt die Hand von Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in und bittet ihn, auch einmal über den Grenzstreifen nach Norden zu treten. Jene historischen Fernsehbilder des innerkoreanischen Gipfels gingen um die Welt. Nirgendwo jedoch haben sie eine nachhaltigere Wirkung entfaltet als in Südkorea: Kim Jong-un, einst eine Mischung aus Dämon und freskenhafter Karikatur, wird nun als Mensch wahrgenommen.
"Ah, da ist also Nordkorea! Lasst uns über die Grenze", sagt der 61-jährige Bankangestellte Lee Seong-hyun. Er und seine fünf Kollegen, stehen an diesem sonnigen Maitag vor den blauen Militärbaracken des Friedensdorfs Panmunjom, in denen 1953 der Friedensvertrag nach dem Koreakrieg unterzeichnet wurde.
Lee schreitet in großen Schritten über jenen Bodensims, der die beiden Koreas trennt. Sichtlich amüsiert holt er einen Kollegen zu sich, schüttelt ihm die Hand und lässt sich von seinem Chef abknipsen. Die Männer müssen sich beeilen: Hinter ihnen wartet bereits eine Kleinfamilie mit gezückten Smartphones.
Das Friedensdorf ist freilich nur ein Replikat, Südkoreanern ist es per Gefängnisstrafe untersagt, ohne Regierungserlaubnis den Norden zu betreten. Die Filmkulisse wurde einst für einen Spionage-Thriller errichtet. Lange Jahre war sie eine verlassene Geisterstadt. Seit dem innerkoreanischen Gipfel jedoch ist sie zum Pilgerort für wöchentlich rund 15.000 Südkoreaner geworden: Sie wollen den Handschlag zwischen Kim und Moon nachstellen.
"Natürlich hat das Gipfeltreffen nicht mein Misstrauen gegen Nordkorea vollständig ausgeräumt, aber meine Gefühle für Kim Jong-un sind auf jeden Fall wesentlich abgemildert", sagt Lee. Dabei erinnert er sich noch an die Schilderungen seiner Grundschullehrer, nach denen Nordkoreaner "rote Teufel" seien. "Diese Propaganda des Kalten Kriegs sitzt immer noch tief in unseren Köpfen. Erst wenn wir uns gegenseitig kennenlernen, wird das irgendwann verschwinden."
Wie sehr der Gipfel zwischen Moon und Kim die Wahrnehmung der Südkoreaner verändert hat, wird in einer aktuellen Umfrage des Fernsehsenders MBC deutlich: 78 Prozent aller Befragten gaben an, dass sie Kim Jong-un mittlerweile über den Weg trauen würden. Vor anderthalb Monaten waren es nur magere 10 Prozent.
Fast jeder Südkoreaner weiß von einer Lieblingsanekdote über Nordkoreas Staatschefs zu berichten: Etwa, dass der schwere Raucher während des gesamten Tages die Glimmstängel bleiben hat lassen. Oder dass er seine eigene Toilette zu den Verhandlungen mitgebracht haben soll, um keine Spuren für die Geheimdienste zu hinterlassen. In sozialen Netzwerken stellen User überraschend fest, dass der Dialekt von Kims Koreanisch gar nicht so anders klingt, wie er auch in Seoul gesprochen wird.
Auch der Bankangestellte Lee hat während des Gipfels gespürt, dass man letztlich doch ein Volk sei. "Natürlich würde ich auch gern einmal das echte Nordkorea besuchen", sagt er. Nur einmal sehen zu, wie Nordkoreaner leben - "das ist es, was sich die meisten Südkoreaner wünschen".