Kuba-Experte: "Politische Kontrolle wird behalten." | Havanna versucht, Kosten zu reduzieren. | Havanna/Wien. Raúl Castro ist mit der Arbeitsmoral der Kubaner nicht zufrieden. 20 Prozent der Werktätigen, hat Kubas Präsident erklärt, könnten überflüssig sein. "Man muss ein für alle Mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten", sagte der Staats- und Regierungschef am Sonntag bei der Eröffnung der Sitzung des kubanischen Parlaments, das alle zwei Jahre zusammentritt. | Analyse: Kubas privatwirtschaftliche Ambition ändert nichts am politischen System
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Damit die mutmaßlichen Nichtstuer dem wirtschaftlich angeschlagenen Staat nicht so sehr zur Last fallen, wird den Kubanern nun die Möglichkeit eingeräumt, künftig kleine Geschäfte zu betreiben und Arbeitskräfte zu beschäftigen. Während die Selbständigkeit gefördert werden soll, ist allerdings gleichzeitig die Entlassung von zahlreichen Staatsbediensteten geplant.
Dass Kuba nun aber tatsächlich in Richtung Privatwirtschaft steuert, glaubt Günther Maihold, Vize-Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, nicht. Es handle sich vielmehr um ein altbekanntes Handlungsmuster in Kuba. Ähnliche privatwirtschaftliche Ansätze gab es bereits in den 90er Jahren, als 150 private Erwerbstätigkeiten legalisiert wurden. "Wenn das Wirtschaftshandeln an seine Grenzen gerät, dann öffnet man ein paar Ventile und lässt den Druck entweichen", erklärte der Kuba-Experte gegenüber der "Wiener Zeitung". Die mögliche Selbständigkeit betreffe vor allem Leute, die im öffentlichen Dienst keine Beschäftigung haben. Gleichzeitig sei das Unternehmertum an dermaßen viele Auflagen gebunden, "dass die politische Kontrolle weiterhin behalten wird und es in diesem Sinne keine Einführung von Markt-Elementen ist."
So dürfen zum Beispiel Eigentümer der seinerzeit eingeführten privaten Restaurants nicht mehr als zwölf Sitzplätze haben und ausschließlich Familienmitglieder beschäftigen. Die hohen monatlichen Abgaben müssen unabhängig von den Einnahmen geleistet werden. Viele der seinerzeit eingeführten Liberalisierungen wurden als für den Sozialismus schädlich wieder aufgehoben.
Nach dem aktuellen privatwirtschaftlichen Vorstoß muss sich laut Maihold auch erst weisen, "ob dieser erfundene Sektor der Selbständigen wirklich so viele Arbeitskräfte absorbieren kann, wie da angekündigt worden sind, nämlich 100.000."
Demonstrative Einigkeit
Auffällig ist für Maihold, dass die von Raúl Castro angekündigte Reform mit einer massiven Präsenz von Fidel Castro einhergeht, der sich nun auch wieder in Militäruniform zeigt. Damit wolle das Bruderpaar klarmachen: Beide tragen diesen Beschluss und versuchen dadurch die Legitimität des sozialistischen Systems zu bewahren.
Noch ist allerdings nicht geklärt, auf welchem Gebiet die Kubaner künftig selbständig werden dürfen. Paolo Spadoni von der Tulane Universität erklärte, dass von den elf Millionen Kubanern derzeit etwa 143.000 eine Erlaubnis hätten, um als "cuentapropistas" zu arbeiten. Der große Unterschied zu den vergangenen Reformen ist, dass die Unternehmer nun die Möglichkeit haben, Arbeiter anzustellen. Viele Kubaner hatten sich Reformen bereits vor vier Jahren erhofft, als Raúl Castro die Regierungsgeschäfte von seinem fünf Jahre älteren Bruder Fidel übernahm.