Die große Politik macht gemeinhin um Wien einen mehr oder weniger großen Bogen. Österreich gibt, daran ändern auch die zahlreichen hier angesiedelten internationalen Organisationen nur wenig, sehr selten Stoff für die Weltnachrichten ab. Und wenn doch, dann meist mit Abgründigem wie den Fällen Kampusch oder Fritzl.
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Am Freitag war jedoch für kurze Zeit fast alles anders. Da wurde Wien von den Geheimdiensten der USA und Russlands zur Drehscheibe für den größten Agentenaustausch seit dem Ende des Kalten Krieges auserkoren. Für Stunden schwebte die Erinnerung an Harry Lime über jener Stadt, der nicht zuletzt Graham Green mit seinem "Dritten Mann" seinen mythenumwobenen Stempel aufgedrückt hat. Allerdings neigen Österreichs Medien heute dazu, diese Rolle Wiens maßlos überzubewerten. Die Geheimdienste der Großmächte sind längst nicht mehr auf sichere Drittstaaten wie das neutrale Österreich als Operationsbasis angewiesen. Aber Agentengeschichten verkaufen sich eben nach wie vor ausgezeichnet.
Eigentlich bevorzugt das Agentenhandwerk ja die öffentliche und mediale Abgeschiedenheit. In bemerkenswertem Kontrast dazu stand die fast schon bizarre Nachrichtenflut, mit der der Agententausch am Freitag schon in den Tagen zuvor in heimischen wie internationalen Medien begleitet wurde. Fast jedes Detail fand seinen Weg über Hörensagen in die Öffentlichkeit, obwohl eigentlich niemand offiziell dazu Stellung beziehen wollte. Prompt tauchten auch schon Spekulationen auf, dass der tatsächliche Spionetausch gar nicht in Wien, wo lediglich ein gigantisches Ablenkungsmanöver inszeniert worden sei, sondern ganz woanders über die Bühne gegangen sein könnte...
Natürlich sind Österreichs offizielle Stellen, zuvorderst Innen- und Außenministerium, darüber informiert, was US-Amerikaner und Russen tatsächlich auf österreichischem Gebiet vorhaben. Angeblich hatte sich die CIA für Wien als Tauschzentrale entschieden, verfügt hier der US-Geheimdienst doch über eine für europäische Verhältnisse bestens aufgestellte Niederlassung.
In den USA dürfte die Diskussion aber auch nach Übergabe der Agenten weitergehen. Es ist vor allem das Tempo, mit dem Barack Obamas Administration die erst kürzlich enttarnten zehn russischen Agenten ziehen lässt, das Fragen aufwirft: Welchen Schaden diese tatsächlich angestellt haben, darüber fehlt jede verlässliche Information - von Bagatelldelikten bis hin zu höchsten Kreisen, die involviert sein könnten, erzählt die Gerüchteküche. Für die nötige Würze sorgt dabei die mysteriöse Rolle der attraktiven Anna Chapman, die fast zu perfekt in die Klischees der großen weiten Agentenwelt passt.
Für Wien beginnt dagegen am Montag wieder der graue Alltag abseits der schillernden internationalen Schlagzeilen.