Was für manche wie eine Horrorvision klingt, wäre für den Amerikaner Joseph Vacanti die Erfüllung eines Traumes: ein menschliches Herz, gezüchtet aus patienteneigenen Zellen. Seit 1985 arbeitet der Professor von der Harvard Medical School in Boston schon daran, dass in Zukunft keine künstlichen Klappen mehr in kranke Herzen eingesetzt werden müssen.
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"Schon seit längerem werden ja Gewebeteile nachgezüchtet, um körpereigene Strukturen zu ersetzen", sagt Vacanti und verweist dabei auf Haut, Knorpel und Knochen. Bei Schwerstverbrannten kommen bereits Hautprodukte zum Einsatz, die mittels biotechnologischer Verfahren im Labor gezüchtet wurden. Dabei handelt es sich nach Vacantis Angaben aber um sehr einfache Gewebestrukturen, die mit dem "Tissue Engineering", der Gewebezüchtung im Labor, hergestellt werden. Aber Vacanti will mehr: "Ziel unserer Arbeiten ist die Ablösung künstlicher Herzklappen durch solche, die aus dem Gewebe der Patienten selbst hergestellt worden sind."
Beispiel Herzklappe
Knapp 15 Prozent aller herzchirurgischen Operationen unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine betreffen nicht ausreichend funktionstüchtige Herzklappen. Nicht immer ist eine operative, klappenerhaltende Rekonstruktion möglich. In solchen Fällen wird die Herzklappe durch eine Prothese ersetzt.
Zur Verfügung stehen dabei biologische Produkte, also menschliche oder tierische Herzklappen, oder mechanische Klappen aus Kunststoff. Doch diese haben Nachteile: Häufig kommt es zu Fremdkörperreaktionen bei den Patienten, es gibt Schwierigkeiten mit der Blutgerinnung, bei Kindern wächst die Herzklappen-Prothese nicht mit.
"Nachdem gezüchtete Haut oder Knorpel ja schon in der klinischen Anwendung sind, sind jetzt Herz- und andere Gefäße an der Reihe", meint Vacanti selbstbewusst. "Grundlage der Zellzüchtung ist eine spezielle Kunststoffmatrix aus resorbierbarem Polymer", beschreibt er die Vorgehensweise. Dieses Gerüst, das zum Beispiel die Form einer individuellen Herzklappe haben könne, werde dann mit körpereigenen Zellen besiedelt.
"In einer speziellen Nährlösung wächst es dann im Bioreaktor zu einem lebendigen, voll funktionsfähigen Gewebe heran", sagt Vacanti. Nach dem Einsetzen in den menschlichen Körper integriere es sich in das umgebende Gewebe und wachse dementsprechend bei Kindern auch mit. Unterdessen werde das Polymergerüst restlos abgebaut und verschwinde.
Beweise bereits erbracht
Dass diese Vorstellungen sich tatsächlich umsetzen lassen können, hat Vacanti mit seinem Team im Laborversuch bereits bewiesen. Schon 1996 stellte er an der Harvard Medical School ein einzelnes Klappenventil mittels "Tissue Engineering" her. Drei Jahre später wurde einem Schaf erstmals eine komplette dreiseglige Herzklappe eingesetzt.
"Wir sind also schon ein gutes Stück auf unserem Weg vorangekommen", meint Vacanti. Einige Probleme auf dem Weg zum Ziel hätten durch neue gentechnologische Werkzeuge wie der Arbeit mit Stammzellen gelöst werden können.
Die Ethikdiskussion um die Stammzellennutzung versteht Vacanti nur zum Teil: "Es müssen ja nicht die so umstrittenen embryonalen Stammzellen verwendet werden", betont er. Jeder Mensch trage Stammzellen in sich und auch die so genannten "adulten", also "erwachsenen" Stammzellen könnten genutzt werden. Als Beispiel nannte er einen 100-Jährigen, bei dem körpereigene Zellen zur Nachzucht von Gewebe für eine Operation genutzt worden seien.
Unkoordinierte Forschung
"Wir haben genügend Informationen gesammelt, um auch komplexe Organe wie Herz, Leber oder Niere herstellen zu können", ist sich Vacanti sicher. Was ihn derzeit sehr schmerze, sei die Tatsache, dass die weltweite Forschung weitgehend unkoordiniert nebeneinander her verlaufe. Rund 1.500 Wissenschafter seien momentan mit der Forschung auf dem Gebiet des "Tissue Engineering" beschäftigt, Schwerpunkte lägen dabei in den USA, Deutschland und Japan. "Es wird sehr viel Geld benötigt, um weiter zu kommen", meint der Amerikaner.
Statt wie bisher in mehreren kleinen Projekten zu arbeiten, schlägt Vacanti eine konzentrierte Forschung zum "Tissue Engineering" vor. Denn dann könne man einem Etappenziel viel schneller näher kommen: "In zehn Jahren werden wir so weit sein, dass menschliche Herzklappen gezüchtet werden können", wagt der Professor einen Blick in die Zukunft. (SERVICE: "http://www.herzstiftung.de")