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Ein Hilferuf in Camouflage

Von Marina Delcheva und Jan Michael Marchart

Politik

Das Bundesheer ist für den Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung nicht erst seit dieser Legislaturperiode untauglich.


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Wien. Der Bundespräsident sagte es als Oberbefehlshaber zum Jahreswechsel. Zuletzt betonte es auch Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) selbst. Das Bundesheer, so heißt es sperrig, sei nicht in verfassungsmäßigem Zustand. Es könne also seinem Verfassungsauftrag nicht mehr nachkommen, das Land im Sinne der Neutralität zu verteidigen.

Dass das heimische Militär finanziell seit 20 Jahren ausgehungert wird und die Miliz samt Ausrüstung dahinrafft, ist seit Jahren bekannt. Dass sich das nicht allzu bald ändern wird, ist ebenso kein Geheimnis. Die gutgläubigen Wünsche der Freiheitlichen, das Heeresbudget von etwa 2,2 auf mehr als drei Milliarden Euro aufzustocken, wurden im ersten Budget vom Koalitionspartner ÖVP mit dem begehrten Nulldefizit vor Augen prompt wieder abgerüstet.

2020 soll das Heeresbudget auf 2,4 Milliarden ansteigen, im Jahr darauf wird wieder gekürzt. Nach einer Investitionsphase unter Kunaseks Vorgänger Hans Peter Doskozil (SPÖ) lebt das Heer weiter von seiner Substanz, während das Ressort von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) einen deutlichen Budgetanstieg verzeichnete. Für den Asylbereich, die Aufrüstung der Polizei, aber auch, um ein persönliches Exempel zu statuieren: die Polizeipferde.

Untaugliche Eurofighter

Vor einer Woche tauchte eine Broschüre des Heers auf, wonach dieses ohne zusätzliche Mittel in naher Zukunft nur noch "einfache Assistenzleistungen" werde leisten können. Ohne Investitionen werde es in allen militärischen Bereichen zu einem Fähigkeitsverlust kommen. Der "dringende Investitionsstau" wird von Generalstabschef Robert Brieger mit drei Milliarden Euro beziffert.

Der Sprecher des Verteidigungsressorts Michael Bauer nennt die heimischen Kampfpanzer als Beispiel, die es für die Landesverteidigung brauche, die aber "in Qualität wie Quantität nicht mit modernen Kampfpanzern egal welcher Armee schritthalten können". Das sei bei vielen wesentlichen Waffensystemen der Fall.

Dass das Bundesheer in seinem maroden Zustand schon länger und nicht erst seit dieser Legislaturperiode seinen Verfassungsauftrag nicht mehr erfüllen kann, ist anzunehmen. Militärexperten, die nicht genannt werden wollen, meinen, dass das spätestens seit der Amtszeit von Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) der Fall war, der untaugliche Eurofighter angeschafft habe. Ob das Bundesheer einsatzbereit sei oder nicht, sei vielen Ministern egal gewesen.

Allerdings sei der Verfassungsauftrag ein sehr vager Begriff, der sich schwer eingrenzen lasse, sagt Verfassungsexperte Peter Bußjäger. "Aus keiner Verfassungsbestimmung geht hervor, dass Österreich Abfangjäger braucht", sagt er. Im Sinne der Landesverteidigung werde es aber eine gewisse Mindestfunktion des Heeres etwa für einen nennenswerten Grenzschutz brauchen. Verfassungsrechtlich festmachen ließe sich das nachvollziehbar aber nicht. Bußjäger vermutet hinter dem militärischen Hilferuf ein Druckmittel für mehr Geld in den laufenden Budgetverhandlungen für 2020. Der Drei-Milliarden-Wunsch Kunaseks gilt als unwahrscheinlich, heißt es aus Regierungskreisen. Ob oder wie Finanzminister Hartwig Löger Kunasek unter die Arme greifen wird, ist offen.

Die Bedrohung aus dem Netz

Der Militärexperte und Unternehmensberater Gerald Karner hält zwei Budgetmaßnahmen kurz- und langfristig für unausweichlich. "Wir brauchen eine Sonderfinanzierung für vordringliche Projekte, damit der Militärbetrieb weiterhin sichergestellt ist." Es habe sich in den vergangenen Jahren ein Investitionsstau aufgebaut, der nun dazu führe, dass Maschinensysteme bald aus dem Betrieb ausscheiden müssten. So habe der Eurofighter ab 2022 keine Fluglizenz mehr. Mittel- und langfristig müsse Österreich seine Militärausgaben von derzeit unter 0,7 Prozent des BIP in Richtung ein Prozent anheben. "Fast alle anderen Staaten geben prozentuell mehr Geld für die Landesverteidigung aus", sagt er. Auch die Schweiz, die derzeit auf dem BIP-Niveau Österreichs ist, habe über Jahrzehnte mehr als zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für ihr Militär aufgewendet und "ganz andere Ressourcen aufgebaut", sagt Karner. So oder so: "Es geht nicht einmal mehr irgendwie."

© M. Hirsch

"Ohne Sonderfinanzierung und Anhebung wird es nicht mehr gehen. Ansonsten kann man es gleich lassen und uns für unsouverän erklären." Die Frage, was die verfassungsmäßige Verteidigungsaufgabe des Bundesheers ist, müsse man heute auch in einem europäischen Kontext sehen, weil sich die Bedrohungsszenarien seit dem Kalten Krieg deutlich gewandelt hätten. Hinzugekommen sei auch die Bedrohung aus dem Netz. Hier verfüge das Heer zwar über einige gute IT-Experten, diese seien aber bei Weitem nicht genug.