Deutsche Airline versucht Trendwende mit radikalem Sparprogramm.
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Berlin. In einer veritablen Krise steckt die Luftfahrtbranche, und ein Österreicher soll eines ihrer größten Sorgenkinder wieder auf Kurs bringen. Mit sofortiger Wirkung übernimmt Wolfgang Prock-Schauer den Vorstandsvorsitz bei Air Berlin, wie Deutschlands zweitgrößte Fluglinie am Montag bekanntgab. Der Aufstieg des gebürtigen Waldviertlers überrascht Branchenexperten nicht, lediglich der Zeitpunkt kommt unerwartet.
"Vor großen Herausforderungen" steht Air Berlin laut Prock-Schauer. Ein Euphemismus, denn auf den 56-Jährigen wartet buchstäblich ein Himmelfahrtskommando: Seit 2007 schreibt die Fluglinie rote Zahlen, Ende September 2012 betrug die Nettoverschuldung 853 Millionen Euro. Mit dem rasanten Expansionskurs, in dessen Folge mehrere Konkurrenten geschluckt wurden - darunter Niki des früheren Formel-1-Weltmeisters Niki Lauda, LTU und Deutsche BA -, konnte der wirtschaftliche Erfolg nicht Schritt halten. Bereits zwei Mal hat Air Berlins größter Aktionär Etihad Airways finanziell ausgeholfen.
Die Scheichs aus dem Emirat Abu Dhabi inthronisierten Prock-Schauer Anfang Oktober als neuen Vorstand bei Air Berlin, zuständig für Preisstrategie und die Netzplanung. "Prock-Schauer ist ein großartiger Netzplaner, und das Netz muss erneuert werden", sagte Etihad-Chef James Hogan damals gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" - und hielt sich ob dessen weiterer Zukunft bedeckt. Nun löst der Österreicher den bisherigen Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn ab.
Prock-Schauer steht am Gipfel seiner beruflichen Karriere, die er stets im Airline-Business verbracht hat: Nach dem Studium an der Wiener Wirtschaftsuniversität ging er 1981 zu Austrian Airlines, für die er unter anderem den Beitritt zum Flugbündnis Star Alliance abwickelte - und dort auch kurz den Vorsitz innehatte. 2003 wagte der verheiratete Vater von drei Kindern den Sprung nach Indien, lenkte den Expansionskurs der Jet Airways und verschaffte sich damit international Renommee. Dass es der anerkannte Fachmann 2006 nicht an die Spitze der AUA schaffte, sondern der branchenfremde Siemens-Manager Alfred Ötsch, lag laut Insidern an der fehlenden parteipolitischen Geschmeidigkeit von Prock-Schauer. Eine Niederlage musste er auch bei seiner letzten Station vor Air Berlin einstecken: Die von dem Manager 2009 bis 2012 geleitete, chronisch defizitäre Lufthansa-Tochter British Midland schaffte nicht den Turnaround und wurde schlussendlich an British Airways verkauft.
Enormer Konkurrenzdruck
Bei Air Berlin erbt Prock-Schauer das von seinem Vorgänger Mehdorn initiierte Sparprogramm "Turbine 2013", welches einen Kostenabbau von 15 Prozent in den kommenden beiden Jahren vorsieht. Die Flotte soll kolportiert von 158 auf 138 Flugzeuge verkleinert werden, mindestens 500 der 9300 Arbeitsplätze stünden zur Disposition - insbesondere bei der Mutterfluglinie, da die Tochtergesellschaften in Österreich und der Schweiz mit deutlich niedrigeren Personalkosten operieren.
Europaverkehr, Ferienstrecken, Langstrecken: Noch beruht das Geschäftsmodell von Air Berlin auf diesen drei Säulen. Bei der Fluglinie werden aber alle Optionen geprüft. 95 Prozent der Passagiere und 85 Prozent der Erlöse stammen aus dem Kernmarkt im Kurz- und Mittelstreckensegment. Doch gerade in Europa erhält Air Berlin neue Konkurrenz: Deutschlands Branchenprimus Lufthansa baut ab heuer seine Billig-Tochter Germanwings massiv aus. Aufgrund des ohnehin bereits ruinösen Marktes mit den traditionellen Low-Cost-Anbietern wie Ryanair und Easyjet bleibt Air Berlin damit noch weniger Spielraum zum finanziellen Überleben.
Am Tropf der Scheichs
Gestützt wird Air Berlin von Etihad, die 30 Prozent an der kriselnden Fluglinie hält. Für 184 Millionen Euro erwarb die staatliche Linie aus Abu Dhabi kürzlich 70 Prozent des Vielflieger-Programms "Top Bonus" von Air Berlin; anlässlich des Einstiegs bei den Deutschen Ende 2011 wurde bereits ein Kredit über 200 Millionen Euro gewährt. Nichtsdestotrotz bestreiten sowohl Air Berlin als auch Etihad, dass die deutsche Fluggesellschaft weitere Finanzspritzen benötigt, so die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Etihad, die seit ihrer Gründung 2004 laut Experten Verluste in Milliardenhöhe angehäuft hat, braucht Air Berlin als Zubringer für Langstreckenverbindungen ab dem Drehkreuz Abu Dhabi.
Neben den hausgemachten Problemen hadert Air Berlin auch mit der deutschen Luftverkehrsteuer sowie hohen Treibstoffkosten. Negative Krönung ist das Planungsdesaster beim Flughafen Berlin-Brandenburg. Die immer wieder verschobene Eröffnung koste die Airline laut Paul Gregorowitsch, Vorstand bei Air Berlin, einen "dreistelligen Millionenbetrag". Sein Fazit: "Eine totale Katastrophe." Das sahen am Montag auch die Börsianer so. Der Kurs von Air Berlin bewegte sich im Sinkflug, verlor rund vier Prozent.