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Ein himmlisches Jerusalem wird 1000

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Anfang des 19. Jahrhunderts ein Strohlager, später eine Kegelbahn für eine Heil- und Pflegeanstalt, im Zweiten Weltkrieg fast zerstört, ist es ein Jude, der die christliche Kirche rettet.


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St. Michaelis zu Hildesheim hat turbulente Zeiten erlebt. Immer wieder kam es zu kleineren und größeren Katastrophen - einmal stürzten Türme und Gewölbe ein, dann brachen Mauern weg. Im 19. Jahrhundert sollte sie sogar abgerissen werden. Und schließlich zerbombte die Royal Air Force am 22. März 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs das historische Zentrum Hildesheims.

Doch St. Michaelis hat alles überdauert; die wuchtige, stilreine Basilika steht bis heute, strahlt in neuem Glanz und ist sogar in die Liste der Welterbe-Stätten aufgenommen worden. Heuer feiert sie ihr 1000-jähriges Bestehen. Der bedeutendste vorromanische Bau nördlich der Alpen, meint der Bauleiter der umfassenden Sanierung, Jürgen Götz. Zwischen 1945 und1960 erfolgte der Wiederaufbau in ursprünglicher, bernwardinischer Form mit Unterstützung des jüdischen Amerikaners Bernard R. Armour.

Es begann im Jahre 993. Der neue Bischof Bernward von Hildesheim hatte den Auftrag gegeben, auf einem Hügel nördlich seines Amtssitzes eine Kapelle zu errichten. Nur wenige Jahre später erkor er diesen Platz als seine Grablege und ließ ein Benediktinerkloster mit der "Engelskirche St. Michaelis" erbauen.

Um die erste Jahrtausendwende war Hildesheim eines der Machtzentren des Reiches, und Bernward wollte "seine" Stadt nach dem Vorbild Roms gestalten. Davon zeugen heute noch die berühmten bronzenen "Bernwardstüren", die von den Türen der römischen Kirche Santa Sabina inspiriert sind, die gleichfalls bronzene Christussäule mit Darstellungen der Wohltaten Christi nach dem Vorbild der steinernen Kaisersäulen sowie die gewaltige Michaeliskirche selbst.

Obwohl Bernward die Grundsteinlegung im Jahr 1010 noch um zwölf Jahre überlebte, wurde die Kirche erst nach seinem Tod vollendet. Wenige Wochen zuvor weihte er noch selbst die Krypta und was von der Abteikirche schon fertig war am 29. September 1022. Am 20. November verstarb er und wurde in der Krypta beerdigt. Heute ist sein Sarkophag leer, weil seine sterbliche Hülle in eine andere Kirche überführt wurde. Dies erklärt auch das Kuriosum, dass die Krypta katholisch geblieben, die Kirche selbst aber nach der Reformation evangelisch geworden ist.

Mit der Engelskirche St. Michaelis gelang ein Meisterwerk der ottonischen Architektur, des ersten rein deutschen Baustils in der Geschichte. Wie eine Burg erhebt sie sich auf ihrem Hügel, eine charakteristische Silhouette mit den zwei mächtigen Vierungstürmen und vier runden Glockentürmen. In größter Harmonie richtet sie sich nach den geometrischen Vorgaben antiker Philosophen und kombiniert sie mit mittelalterlich-christlicher Zahlenmystik. Grundeinheit ist das Vierungsquadrat, sie prägt die klare kubische Ordnung.

Der größte Schatz ist das 800 Jahre alte, 240 Quadratmeter große, auf Holzbohlen gemalte Deckengemälde, das den sogenannten "Jessebaum" zeigt - die bedeutendste Holzdeckenmalerei dieser Art weltweit. Der Jessebaum zeigt die Abstammung des Menschen Christi von Adam und Eva her. Und der kostbarste Schatz ist das Bernwardskreuz. Bischof Bernward hatte von Kaiser Otto III. einen Reliquiensplitter des Heiligen Kreuzes erhalten, für den er ein 48 Zentimeter hohes Prunkkreuz in der Form eines Lateinischen Kreuzes anfertigen ließ, in Gold gefasst und reich mit Edelsteinen, Perlen und Kristallen besetzt.

Die 1000-Jahrfeiern im "himmlischen Jerusalem", zu denen einmalige Schätze zusammengetragen wurden, dauern noch bis 21. November.

Markus Kauffmann, seit rund 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.