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Der europäische Gedanke ist tot, es lebe der europäische Gedanke!
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Im Moment der größten Krise erlebt Europa einen historischen Augenblick: die Geburt des europäischen Gedankens. Die Einheit in Friede und Freiheit ist der Kerngedanke eines geeinten Europa. Nur im Schatten dieser politischen Vision kann das ökonomische Europa gedeihen. Diese Botschaft gehört weithin lesbar auf jeden Rettungsschirm, der derzeit aufgespannt wird, um die europäische Gemeinschaftswährung am Leben zu erhalten. Die Freiheit hat ihren Preis, und Europa sollte ihn bezahlen. Diese Vision hat Kernstück politischen Denkens zu sein.
Die Soldatenröcke in die Kleiderkammer der Geschichte zu hängen, um trotz aller historischen und kulturellen Gegensätze ein Miteinander in Frieden und Freiheit zu ermöglichen, das ist die Vision eines geeinten Europa. Nur im Schatten visionärer Weitsicht kann das ökonomische Europa gedeihen. Diese Botschaft muss jedem Rettungsschirm, jeder Schuldenbremse und jedem fiskalischen Fingerzeig vorangehen: Europa - das sind wir!
Die Freiheit hat ihren Preis, den wir um der Vision willen bezahlen müssen. Es gibt keine Alternative - außer der europäischen Idee das Totenglöckchen zu läuten.
Es hilft nichts, wenn Jürgen Habermas sich mit seinem Essay "Verfassung Europas" zu Europa bekennt. Es hilft nichts, wenn Altbundeskanzler Helmut Schmidt seiner Partei, der SPD, unter Applaus eine Nachhilfestunde in Sachen Europa gibt und deutsche Kraftmeierei anprangert. Es hilft nichts, wenn Politiker der unterschiedlichsten Couleurs aktionistisch in den europäischen Rettungskanon einstimmen. Und es hilft auch nichts, wenn der Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, eine Änderung des deutschen Grundgesetzes anregt, damit der Euro gerettet werden kann. So spannend dieser Vorstoß auch sein mag, zunächst einmal ist er Futter für die Fachleute.
Der europäische Gedanke ist tot, es lebe der europäische Gedanke! Europa wird nur noch als ein Administrationsmonster wahrgenommen, das damit beschäftigt ist, sich selbst künstlich am Leben zu erhalten. Das ist das verheerende Bild, das in den meisten Mitgliedsländern der Europäischen Union vorherrscht. Vielen ist der europäische Gedanke nicht einmal mehr die Mühe einer Auseinandersetzung wert.
Die Vision Europa droht zu einer Horrorvision zu verkommen. Die Rettung des Euro ist wichtig und richtig - entscheidend ist dabei aber vor allem, das Warum zu erklären. Die Antwort: 66 Jahre lang Frieden auf einem Kontinent, auf dem kriegerische Auseinandersetzungen eiternde Narben hinterlassen haben. Das allein sollte doch Argument genug sein!
Diesen Gedanken in die Zukunft zu tragen, das ist die Vision. Wie die Kunst lässt sich auch die Vision keiner Kosten-Nutzen-Rechnung unterwerfen, denn dann gäbe es beides nicht. Die Kraft der Vision liegt in ihrer Imagination, im Spiel der Möglichkeiten. Das verlangt ein europäisches Bewusstsein, ein europäisches Denken. Ein historischer Augenblick zeichnet sich ab: die Geburt des europäischen Gedankens.
Herzlichen Glückwunsch!