Die Fusionswelle und Sparmaßnahmen haben auch die gewerkschaftliche Organisationsstruktur erfasst. Am Dienstag- vormittag wurde im Austria Center Vienna der schon seit 1995 geplante Zusammenschluss der Fachgewerkschaften Metall und Textil offiziell und einstimmig von den Delegierten beider Gruppierungen beschlossen.
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"Das ist ein historischer Gewerkschaftstag", freut sich ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, "dieser Prozess muss auch von anderen Fachgruppen auch nachvollzogen werden."
Dieser erste große Reformschritt soll weitere nach sich ziehen. Der ÖGB will sich neu organisieren, um für die veränderten Bedingungen in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt gerüstet zu sein. Künftig werden Metaller und Textiler für 220.000 Mitglieder an einem Strang ziehen. Mit rund 300.000 Arbeitnehmern in beiden Bereichen verfügt diese neue Gewerkschaft über eine hohe Organisationsdichte. "Die Arbeitsmarktdaten sind exzellent, aber die Arbeitsbedingungen sind es oft nicht", analysiert der ÖGB-Präsident. Besondere Herausforderungen für die Arbeitnehmer-Lobby sind die EU-Osterweiterung, die Zunahme der atypischen Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit und die dadurch geschaffene Zweiteilung der Arbeitnehmer, der Strukturwandel in der Textil- aber auch in der Metallindustrie, sowie deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Übertriebene Erwartungen können allerdings nicht erfüllt werden, warnt der mit 99,6% der Stimmen gewählte "neue" Vorsitzende von Metall-Textil, Rudolf Nürnberger: "Nur weil wir fusioniert haben, wird es leider nicht sofort dieselben Löhne und Arbeitsbedingungen in Textil- und Metallbereich geben können". Vorerst werden Metaller und Textiler auch noch getrennt in die Kollektivvertragsverhandlungen gehen. Eine Gesprächsrunde für die Metallindustrie hat sich schon gebildet. In drei Arbeitsgruppen, in denen Vertreter der Gewerkschaft der Privatangestellten und der Arbeitgeberseite mitwirken, soll die Entwicklung eines zeitgemäßen Entlohnungssystems, verbesserte Aus- und Weiterbildungsprogramme für Arbeitnehmer und die nächste Lohnrunde vorbereitet werden. Die Gespräche der Gewerkschaft mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein reduzieren sich auf das Notwendigste. Die Einladung, bei der Eröffnung des Gewerkschaftstages vor den Delegierten zu sprechen, hat Bartenstein entgegen der Tradition nicht angenommen.
Auf ähnlicher Basis verlaufen die Gespräche zur Pensionsreform. Fritz Verzetnitsch, der direkt vom Pensionsgipfel mit den Ministern Elisabeth Sickl und Bartenstein ins Austria Center gekommen ist, berichtet über den aktuellen Stand der Verhandlungen: "Die Bundesregierung geht auf die Vorschläge der Arbeitnehmervertreter überhaupt nicht ein. Sie plant Verschlechterungen im Pensionssystem ohne unsere Alternativen zu überdenken". Er wittert bei den Reformen bei der Pensions- und Krankenversicherung einen grundlegenden, willkürlichen Systemumbau: "Weg von Solidarität, hin zur Ellenbogengesellschaft, in der jeder für sich alleine sorgen muss". Über wichtige Forderungen der Gewerkschaft wie Wertschöpfungsabgabe und Kapitalbesteuerung gibt es keine Gesprächsbereitschaft. "Bislang wird", so Verzetnitsch, "der Faktor Arbeit einseitig mit Abgaben belastet".
Eine neue Position in der eben geschaffenen Gewerkschaft muss nun Harald Ettl einnehmen. Bis Montag war der EU-Abgeordnete auch Vorsitzender der Textil-Gewerkschaft. Nach der Fusion wurde Ettl zum stellvertretenden Vorsitzenden von 99,4% der Delegierten gewählt. "Ich habe seit 1973 in wesentlichen Funktionen meiner traditionsreichen Bewegung gewirkt und natürlich schwangen am Montag, unserem letzten Textiler-Gewerkschaftstag, sowohl Wehmut als auch Stolz mit", resümiert Ettl. Er weist auf so gewichtige Persönlichkeiten wie Ferdinand Hanusch oder Grete Rehor hin, die aus seiner Gewerkschaft kamen.
Der ehemalige Gesundheitsminister weiß aber um die Notwendigkeit dieses Reformschritts und hat ihn selbst eingeleitet. Auf lange Sicht soll der ÖGB sich nur mehr in drei Bereiche unterteilen: Produktion, Dienstleistung und öffentlicher Dienst.