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Ein historischer Linksruck

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Andres Manuel Lopez Obrador gewinnt die Präsidentschaftswahlen in Mexiko und wird zum neuen lateinamerikanischen Gegenspieler von Donald Trump.


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Mexiko-Stadt. Auf den ersten Metern auf dem Weg zur Macht herrscht erst einmal Stillstand. Als Mexikos strahlender Wahlsieger Andres Manuel Lopez Obrador (64) versucht, seine Wahlkampfbasis im Süden von Mexiko-Stadt zu verlassen, stürzt sich eine Hundertschaft von Journalisten und Kameramännern auf seinen weißen Volkswagen-Jetta. Besonders wagemutige Reporter werfen sich auf die Motorhaube, andere schmeißen sich gegen die linke Wagenseite. Schließlich gehen die ersten Worte des neu gewählten Präsidenten über den Sender. Vom Beifahrersitz aus durch das geöffnete Fenster: "Das wichtigste Versprechen ist, keine Korruption und Straflosigkeit zu erlauben. Wir werden die Korruption ausrotten", ruft Lopez Obrador in das Mikrofon.

Triumphfahrt durch die Nacht

Dann endlich setzte sich die Karawane in Richtung Hotel Hilton in Bewegung, wo der strahlende Sieger später seine erste Rede halten wird. Die linke Seite seines Autos hat die Begegnung mit der aggressiven Medienlandschaft alles andere als gut überstanden: Zahlreiche Beulen und Dellen hat die Karosserie davongetragen. Auf der Rückbank hat seine deutschstämmige Frau Beatriz Gutierrez Müller (49) Platz genommen, die sich im Wahlkampf mit falschen Gerüchten herumschlagen musste, sie sei eine Nachkommin eines Nazi- und Gestapo-Chargen.

Nun winkt sie bei der kurzen Triumphfahrt durch die der Nacht überglücklich den Passanten zu. Die unterlegenen Kandidaten Ricardo Anaya von der christdemokratischen PAN und Jose Antonio Meade von der lange regierenden PRI gratulierten Lopez Obrador haben da bereits zum Wahlerfolg gratuliert. Die etablierten Parteien sind vernichtend geschlagen. Mexikos Parteienlandschaft ist in ihren Grundfesten erschüttert. Aber die Demokratie funktioniert.

Lange haben sie warten müssen auf dem historischen Platz in Mexiko-Stadt, dann schließlich kam der strahlende Wahlsieger nach Mitternacht. Vor ihm ein buntes Fahnenmeer an mexikanischen Farben und jene rot-weiße der relativ jungen Bewegung "Morena". Scheinwerfer schmeißen ein blaues Licht in den Nachthimmel. Egal ob Anhänger oder Gegner von Lopez Obrador - von dieser Nacht geht der Zauber eines Neuanfangs aus. Er werde das Volk nicht betrügen, nicht belügen und nicht verraten, ruft Lopez Obrador der jubelnden Masse zu und gemeinsam mit seiner Frau ahmt er eine Umarmung nach. Menschliche Wärme - was für ein Gegensatz zum Stil des nördlichen Nachbarn Donald Trump in den USA.

Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt hat die politischen Verhältnisse in Mexiko auf den Kopf gestellt. Vor vier Jahren gegründet, ist sie inzwischen die stärkste politische Kraft in dem zweitgrößten lateinamerikanischen Land nach Brasilien. Lopez Obrador verzaubert die Menschen mit seinen Versprechen nach einem anderen Mexiko. Der deutliche Wahlsieg des ehemaligen Regierungschefs des gigantischen Hauptstadtbezirks Mexiko-Stadt ist ein politisches Erdbeben nicht nur in Mexiko, sondern in ganz Lateinamerika.

Linke Sammelbewegung

Seine linke Sammelbewegung "Morena" (Bewegung der nationalen Erneuerung) gibt es erst seit 2014. Lopez Obrador hat es verstanden, ein breites Bündnis aus linksradikalen Kräften, Umwelt- und sozialen Bewegungen, Gewerkschaften sowie zutiefst frustrierten Überläufern aus den mexikanischen Altparteien zu schmieden, das unter dem Motto "Zusammen machen wir Geschichte" auftritt. Mit rund 53 Prozent der Stimmen gewann Lopez Obrador als erster Linkspolitiker die Präsidentschaftswahlen in Mexiko.

Auch Mexiko-Stadt erlebt einen historischen Abend. Mit der Nachfahrin jüdischer Einwanderer, Morena-Politikerin Claudia Sheinbaum (56), wird erstmals eine Frau die riesige Metropole regieren. Aus den Regionen treffen derweil weitere Siegesmeldungen für Morena ein. Dazu zählt auch der Wahlerfolg des enorm populären ehemaligen Fußball-Nationalspielers Cuauhtemoc Blanco Bravo, der künftig als Gouverneur seinen Heimatstaat Morelos regieren wird.

"Werden Mexiko verändern"

Anschließend strömten die Menschen zum "Engel der Unabhängigkeit" in Mexiko-Stadt, um weiter zu feiern. Viele mit Tröten und Fahnen ausgestattet, die auch während der Fußball-Weltmeisterschaften im Einsatz sind. "Es un honor, estar con Obrador", rufen seine Anhänger: "Es ist eine Ehre, mit Obrador zu sein." Lopez Obrador holte laut Hochrechnungen rund 53 Prozent der Stimmen und wird damit Mexiko in den nächsten sechs Jahren mit einem satten Rückenwind regieren können.

Mit ihm werde es einen tiefgreifenden Wandel geben, verspricht Lopez Obrador. "Wir werden Mexiko verändern." Das alles werde aber auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit geschehen, versprach der grauhaarige Sieger. Es werde weder eine versteckte noch eine offene Diktatur geben, versuchte er jenen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen, die ein Wandel Mexikos hin zu einer sozialistischen Diktatur nach venezolanischen Vorbild befürchten. Zweimal war er schon angetreten, 2006 und 2012, doch erst jetzt hatte es erstmals geklappt. Damals hatte er nach den Wahlniederlagen jeweils von Wahlbetrug gesprochen, nach seinem eigenen Wahlsieg hatte am Wahlsystem diesmal nichts mehr auszusetzen.

"Das wichtigste Versprechen ist, keine Korruption und Straflosigkeit zu erlauben. Wir werden die Korruption ausrotten", sagte Lopez Obrador in einer kurzen ersten Stellungnahme gegenüber dem mexikanischen Fernsehen am späten Sonntagabend (Ortszeit). Noch zweimal - vor der internationalen Presse und vor seinen Anhängern - wiederholt er in der Wahlnacht dieses Kernversprechen. "Lopez Obrador steht für den Versuch, eine Sozialdemokratie zu etablieren, die es so in Mexiko und Lateinamerika noch nicht gibt, aber die man in dieser Form in Deutschland oder in Europa seit über 100 Jahren kennt", sagt Enrique Dussel Peters von der Universität UNAM in Mexiko-Stadt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Auf den neuen starken Mann Mexikos wartet nun ein großer Berg an Problemen: Da ist der sich abzeichnende Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten. US-Präsident Donald Trump will die aus den USA nach Mexiko abgewanderten Arbeitsplätze zurückholen und den Freihandelsvertrag Nafta neu aushandeln. Dazu steht seine Drohung, eine Mauer zwischen beiden Ländern zu bauen, im Raum, die Mexiko auch noch bezahlen soll. Lopez Obrador übte noch im Wahlkampf scharfe Kritik an seinem Vorgänger Enrique Pena Nieto. Er solle die Interessen Mexikos stärker vertreten. Nun wird Lopez Obrador selbst in den Nahkampf mit Trump gehen müssen. Am Abend aber schwieg der Sieger weitgehend zu dem Thema.

Transitland für Migranten

Von zentraler Bedeutung wird dabei auch der Umgang mit der Flüchtlingsbewegung aus Mittelamerika sein. Aus den bettelarmen Mittelamerika-Staaten El Salvador, Guatemala und Honduras durchqueren zahlreiche Migranten Mexiko mit dem Ziel USA. Trump wirft Mexiko vor, an seiner Südgrenze zu wenig dagegen zu tun, Lopez Obrador will eine menschlichere Grenzpolitik. Wie genau das aussehen soll, hat er allerdings noch nicht verraten. Auch in der Anti-Drogen-Politik gehen die Vorstellungen mit dem Nachbar im Norden weit auseinander. Während Lopez Obrador im Wahlkampf eine Amnestie für Drogenbosse ins Spiel brachte, ist in Washington eher eine Null-Toleranz-Politik angesagt. "150.000 Tote in den letzten zehn Jahren haben gezeigt, dass die militärische Lösung nicht funktioniert", so Dussel Peters. Das zentrale Versprechen seiner Präsidentschaft ist aber der Kampf gegen die Korruption und die Straflosigkeit, die eine effektive Bekämpfung der Armut behindere. Er wolle künftig Verträge jeden öffentlichen Bauauftrag überprüfen lassen, kündigte Obrador an.

Schließlich steigt der neue Präsident wieder in ein Fahrzeug. Doch nachdem die weiße Volkswagen-Limousine die Hinfahrt zur Siegesrede nur zerbeult überstand, trat der neue mexikanische Präsident die Weiterfahrt zu seinem zweiten Auftritt vor seinen Anhängern im historischen Stadtzentrum in einem deutlich robusteren amerikanischen Chevrolet-Geländewagen. Zumindest das wird den amerikanischen Präsidenten Trump erfreut haben.