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Ein Hochseilakt für Barack Obama

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

In Afghanistan stehen die USA vor dem klassischen Dilemma als Supermacht: Wie lassen sich in einem weit entfernten Land Probleme lösen, ohne dabei zu viel zu diktieren?


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Präsident Hamid Karzais "Wiederwahl" - auch wenn das in diesem Fall nicht unbedingt das richtige Wort ist - stellt die USA vor das schwierigste aller Probleme in Afghanistan: Wie kann man die Regierungsarbeit verbessern, was laut Expertenmeinung unentbehrlich ist, um die Taliban zurückzuschlagen, ohne die Macht der Regierungsvertreter noch mehr zu beschneiden?

US-Präsident Barack Obama hat am Montag schon den ersten Schritt zu diesem Hochseilakt unternommen, indem seine telefonische Gratulation zugleich auch eine Ohrfeige war: Er drängte den afghanischen Präsidenten, "sehr viel ernstere Anstrengungen" gegen die Korruption zu unternehmen. Und Karzai versprach, wenn auch ohne sich speziell festzulegen, dass er "diesen Fleck entfernen" werde.

Es ist das klassische Dilemma der USA: Wie kann eine Supermacht Probleme in einem weit entfernten Land lösen, ohne dabei zu viel zu diktieren, um nicht genau jene Menschen zu schwächen, denen man helfen will? Die USA haben dabei immer Fehler gemacht, ob in Vietnam, im Nahen Osten oder in Lateinamerika.

Zum Teil besteht das Problem aus der Korruption und der Ineffizienz der Regierung Karzai, zum Teil auch aus dem primitiven Zustand, in dem sich Afghanistans rechtliche und politische Institutionen befinden. Genau daran würden sie am liebsten etwas ändern, wenn sie nur wüssten wie.

Viele machen sich für eine drastische US-Intervention stark, die Karzai zu den nötigen Reformen zwingen soll. Doch andere fürchten, dass dies alles nur verschlimmern würde. "Die Vorstellung, man könne Karzai einfach herumkommandieren, ist falsch", meint dazu ein ranghoher US-Beamter: "Er muss das Gefühl haben, dass das seine Idee ist."

Es gibt sehr unterschiedliche Vorschläge, wie das Problem anzugehen sei: die Bildung eines Ältestenrats zum Beispiel, der Karzai unterstützen solle; oder das Einsetzen eines nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsberaters. Aber ist Karzai in der Lage, Reformen durchzuführen? Manche US-Experten sehen seine Regierung als kriminelles Unternehmen, mit abgezweigten Hilfsmilliarden, unter der Hand eingehobenem Zoll und Einnahmen aus dem Drogenhandel.

Bei meiner Tour vorige Woche durch mehrere US-Basen in Afghanistan hörte ich ständig Verbesserungsvorschläge für die lokalen Verwaltungen. US-Soldaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen halten wöchentliche "Shuras" mit den lokalen Verantwortlichen ab, um herauszufinden, was die Bevölkerung will. Allerdings funktioniere die Verbindung zur Regierung im Moment noch nicht, merkte ein US-Koordinator an.

Projekte für gute Verwaltungsarbeit sind in Afghanistan eine echte Wachstumsbranche. Allerdings haftet manchen von ihnen etwas Unwirkliches an. Da gibt es einen Plan, jährlich 10.000 kompetente afghanische Staatsbeamte auszubilden, und einen, monatlich 3500 redliche Polizisten zu rekrutieren, und einen anderen, den monatlichen Neuzugang zur afghanischen Armee fast zu verdoppeln. Allerdings ist es etwas ganz anderes, solche Ziele in Powerpoint-Präsentationen zu setzen, oder sie dann tatsächlich zu erreichen.

Ziehen die USA im gewohnten Ausmaß in den Krieg, erzeugen sie eine Art alternativer Wirklichkeit, weil sie so groß und mächtig (und oft auch arrogant) sind, dass sich die meisten Menschen treiben lassen. Uncle Sam soll alles erledigen.

Wenn aber Karzai seine Regierungsarbeit nicht verbessert, wird der massive Einsatz der USA in Afghanistan nicht länger dauern als noch ein Jahr. Die USA können ihm seinen Teil der Arbeit nicht abnehmen. Die Rechnung für sein Regime ist schonungslos einfach: reformieren oder sterben.

Übersetzung: Redaktion