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Türkischer Premier braucht Kurden für Verbleib an der Macht.
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Ankara/Wien. "Everything’s connected" - alles hängt mit allem zusammen: Diese Erkenntnis stammt vom Filmplakat des packenden Politthrillers "Syriana" mit George Clooney und Matt Damon aus dem Jahr 2005.
In der Tat: Alles hängt mit allem zusammen. Genau das ist der Fall, wenn der seit 1999 inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan alle kurdischen Kämpfer zum Rückzug aus der Türkei auffordert und einen Waffenstillstand anbietet. Und auch wenn Öcalan sagt, "das ist nicht das Ende, das ist der Beginn einer neuen Ära", dann sollte man kurz innehalten und zurückblicken: Immerhin sind in dem seit 28 Jahren tobenden Konflikt im Südosten der Türkei bislang etwa 40.000 Menschen getötet worden. Die PKK hat sich im damals von Syrien besetzten Libanon formiert und wurde von Anfang an von Regime von Hafiz al-Assad unterstützt. Die Sowjets sahen damals in der PKK ein nützliches Instrument, das unbequeme Nato-Nachbarland Türkei zu schwächen.
Die Botschaft des mittlerweile 64-jährigen Abdullah Öcalan steht am Ende eines monatelangen Verhandlungsprozesses, den auch die jüngste Eskalation des Konflikts (2012 starben 600 Menschen im Kurdenkonflikt) und die Ermordung dreier kurdischer Aktivistinnen in Paris nicht aufhalten konnte. Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan würde jedenfalls in die Geschichte eingehen, wenn es gelingt, den Waffenstillstand zu einen dauerhaften Frieden zu machen.
Nachdem Erdogan nach drei Amtszeiten nicht mehr als Premier kandidieren darf, will er 2014 der erste direkt vom Volk gewählte und nach einer Verfassungsänderung mit einer größeren Machtfülle ausgestattete Präsident werden. Und genau für diese Verfassungsänderung sucht Erdogan politische Verbündete - und hofft auf Unterstützung durch die Kurden.
Geostrategische Motive
Der Zeitpunkt des Waffenstillstands ist wenig überraschend: Nachdem das Überleben des mit der PKK verbündeten Regimes von Bashar al-Assad in Damaskus alles andere als gesichert ist, ist es nun für die PKK opportun, mit der Türkei Frieden zu schließen.
Für die Türkei wäre ein Friede mit der PKK ein weiterer Schritt, ihre Position als führende Macht in der Region zu festigen.
Durch den Sturz Saddam Husseins vor nunmehr fast 10 Jahren vergrößerte sich der Einfluss Ankaras im kurdischen Nordirak beträchtlich, die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der irakischen Kurdenregion und Südost- und Ostanatolien sind eng.
Bei einem dauerhaften Frieden zwischen PKK und Ankara sowie dem Ende der Diskriminierung von Kurden in der Türkei würde sich das Prestige der Türkei im Nordirak noch weiter verbessern.
Die Beziehungen zu den syrischen Kurden werden in Zukunft von noch größerer Bedeutung sein: Denn fällt Assad, dann böte sich den in der Grenzregion zur Türkei lebenden Kurden die Chance, sich - ähnlich wie im Nordirak - eine Autonomieregion zu schaffen. Für die Türkei wäre das freilich eine höchst delikate Sache: Eine aus kurdischen Autonomieregionen bestehende Pufferzone zur arabischen Welt wäre für Ankara durchaus erstrebenswert. Gleichzeitig würde dies wohl die Aspirationen der in der Türkei lebenden Kurden beflügeln. Also muss Ankara das entstehen von Kurdenstaaten im Nordirak oder Syrien um jeden Preis verhindern. Denn das wiederum könnte dazu führen, dass auch die 11-18 Millionen in der Türkei lebenden Kurden eines Tages ihren eigenen Staat fordern. Und somit ist es geradezu unvermeidlich, dass Ankara den in der Türkei lebenden Kurden Gleichberechtigung einräumt. Ankaras Kalkül: Lieber Autonomierechte jetzt, als Sezession der Kurden irgendwann in der Zukunft.