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Ein Hoffnungsträger mit vielen Fragezeichen

Von Georg Friesenbichler

Analysen

In Tunesien ist gelungen, was in Ägypten noch angestrebt wird: Der Machthaber ist verschwunden. In Tunis zeigt sich aber auch, dass eine Revolution leichter durchzuführen ist als ihren Erfolg zu sichern. Noch immer führt mit Mohammed Ghannouchi ein Mann aus der alten Garde des vertriebenen Ben Ali die Regierung. Die Demonstranten werden des Demonstrierens müde, erst allmählich formieren sich Oppositionsgruppen, und exilierte Politiker kehren nach Hause zurück - so etwa der mit dem Premier namensgleiche, aber nicht verwandte Führer der Islamistenpartei, Rached Ghannouchi.


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Ägypten hat ein ähnliches Problem: den Mangel an politischen Köpfen, die sich als Konkurrenz von Präsident Hosni Mubarak darstellen könnten. Auch die Wurzeln sind ähnlich. Zwar konnten die Medien in Ägypten etwas freier berichten als in Tunesien, die Opposition konnte sich anders als dort eingeschränkt organisieren. Dennoch ist es in beiden Ländern dem Herrschaftsapparat gelungen, keine wirkungsvolle Opposition aufkommen zu lassen. Was sich jetzt in Ägypten spontan entwickelt hat, ist eine Revolte höchst heterogener Schichten, getragen von der Jugendbewegung "6. April", die sich vor allem über das Internet organisiert hat.

Die bisher am stärksten wahrgenommene Opposition, die Muslimbruderschaft, hat sich nur widerwillig diesen Protesten angeschlossen. Mit ihr und anderen Oppositionsgruppen zusammen versucht nun Mohamed ElBaradei erneut ein Bündnis zu schmieden. Das hat er schon vor den Parlamentswahlen im September getan - als er dann aber zum Boykott der Wahlen aufrief, verweigerten ihm die Muslimbrüder die Gefolgschaft und traten nach den offensichtlichen Manipulationen durch das Regime erst zum zweiten Wahlgang nicht mehr an.

Somit ist unklar, ob ElBaradei tatsächlich zu einer Galionsfigur der Opposition werden kann, wie dies viele auch im Westen erhoffen. Obwohl der einstige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO sogar den Friedensnobelpreis erhielt, ist er in seinem Heimatland recht wenig bekannt. Kritiker halten ihn zudem für zu intellektuell und zu wenig charismatisch. Das Bündnis mit den Muslimbrüdern kommt bei der liberalen Mittelschicht, die die Proteste mitträgt, nicht gut an. Für viele ist der Diplomat daher nur eine Figur des Übergangs.

Die israelischen Nachbarn fürchten, dass ElBaradei nur eine Marionette in den Händen der gefürchteten Muslimbrüder sein könnte. Als IAEO-Chef hat er im Atomstreit mit dem Iran den Westen immer zur Mäßigung gemahnt, was den heutigen US-Präsidenten Barack Obama allerdings weniger stört als seinen Vorgänger George W. Bush. Der Ruf der Unkorrumpierbarkeit, den sich ElBaradei damit erworben hat, könnte ihm in Ägypten freilich nützen. Sein stärkster Trumpf ist aber, dass die Ägypter jeden lieber an der Macht sehen wollen als Mubarak.

Der hat bisher nicht daran gedacht, vom Präsidentenamt zu lassen. Das könnte sich nun aber ändern - denn die Armee, der entscheidende Bedeutung zukommt, scheint von ihm abzurücken.