Das geplante "1-2-3-Ticket" bringt nur bestehenden Öffi-Pendlern Verbesserungen. Dabei gäbe es - bereits in Österreich bestehende - alternative Modelle.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Pandemiebedingt war es zuletzt still geworden um das "1-2-3-Ticket". Ministerin Leonore Gewessler hat es nun in einem Interview wieder ins Spiel gebracht und die Einführung, eventuell stufenweise, für 2021 angekündigt. Bereits im Jahr 2008 gab es einen Vorstoß für ein "Österreich-Ticket" um 1.490 Euro für den gesamten öffentlichen Verkehr in Österreich, der recht bald im Sand verlief. Beim jetzt geplanten "1-2-3-Ticket" für die Nutzung sämtlicher Öffis (Bahn, Busse, Stadtverkehre) werden für ein Bundesland 365 Euro, für zwei Bundesländer 730 Euro und für ganz Österreich 1.095 Euro pro Jahr angepeilt.
In Wien wurde 2012 die Jahreskarte um 365 Euro eingeführt. Nach diesem Vorbild wurde in den drei westlichsten Bundesländern Vorarlberg (2014), Tirol (2017) und Salzburg (2020) ebenfalls eine Tarifreform durchgeführt, die die Preise der Jahreskarten drastisch gesenkt hat (siehe Grafik). Während die Differenz auf die angepeilten 365 Euro pro Bundesland bei den Verkehrsverbünden mit reformiertem Tarif relativ gering ist, ist sie bei Verkehrsverbünden ohne Tarifreform wesentlich größer. Und das betrifft die drei größten Bundesländer - Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark - sowie das Burgenland und Kärnten.
Die großen Bundesländer haben ihre Bereitschaft erklärt, das "1-2-3-Ticket" umzusetzen - sofern ihnen der Einnahmenentgang vom Bund abgegolten wird. Niederösterreich bezifferte den jährlichen zusätzlichen Finanzierungsbedarf mit "zumindest 300 Millionen Euro". Einen vergleichbaren Zuschussbedarf meldete Oberösterreich an. Es ist kaum vorstellbar, dass der Finanzminister bereit sein wird, den teuren Verbünden das Geld nachzuwerfen. Die Frage ist auch, ob es gerecht wäre. Denn die Verbünde, die schon eine Tarifreform durchgeführt haben, wären die Dummen. Beim Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) wurden mit dem neuen Tarifsystem ab Juli 2016 die Zeichen der Zeit ignoriert und die Gelegenheit vertan.
Das "1-2-3-Ticket" wird kaum Autofahrer umsteigen lassen
Für Gelegenheitsfahrer bringt das "1-2-3-Ticket" keine Verbilligung. Pendler, die derzeit weit mehr als 365 Euro oder gar mehr als 1.000 Euro für eine Jahreskarte zahlen, werden die Bundesland-Jahreskarte um 365 Euro erfreut annehmen. Das Hauptziel muss jedoch sein, Autofahrer massiv zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel zu motivieren. Anzunehmen, dass das geschieht, ist unrealistisch. Einerseits sind viele in den ländlichen Regionen aufs Auto angewiesen, weil dort das Öffi-Angebot einfach zu gering oder gar nicht vorhanden ist. Andererseits werden eingefleischte Autofahrer nicht plötzlich ihr Auto stehen lassen, weil sie um 365 Euro mit Bahn und Bus durch ihr Bundesland oder um 1.095 Euro durch ganz Österreich fahren könnten.
Eine Ökologisierung des Pendlerpauschales bringt sicher einen Anreiz zum Umsteigen. Aber wie viele werden es tun? Und warum sollten Personen ohne Auto, die nur gelegentlich unterwegs sind, 365, 730 oder gar 1.095 Euro - einfach so - auslegen? Wien ist ein Sonderfall, zudem waren die starken Zuwächse an Jahreskarten hauptsächlich auf die Parkraumbewirtschaftung zurückzuführen. Inhaber einer ÖBB-Vorteilscard und einer Jahreskarte für Wien müssten zum Beispiel 17 Mal nach Graz oder 13 Mal nach Salzburg (Österreich-Variante um zusätzliche 730 Euro) fahren oder 10 Mal nach Gmünd (zweites Bundesland um zusätzliche 365 Euro), jeweils hin und zurück, damit sich das entsprechende "1-2-3-Ticket" rentiert. Die Vorteilscard um 66 Euro rentiert sich bei Wien-Salzburg beinahe bei der ersten Fahrt.
Das "1-2-3-Ticket" ist ein illusionäres Justament-Projekt, auch in Salzburg und Tirol ist der Preis fürs jeweilige Bundesland deutlich höher als 365 Euro. Es ist ungerecht und birgt mehr Gefahren als Chancen. Ein massives Umsteigen vom Auto in die Öffis ist unrealistisch. Öffi-Pendler erhalten das ganze Bundesland geschenkt, Gelegenheitsfahrer haben Verteuerungen zu befürchten. Denkbar wäre, die Vorteilscard abzuschaffen, um den Verkauf des "1-2-3-Tickets" zu pushen, was eine Verdopplung der Einzelfahrtpreise impliziert. Eine solche Maßnahme würde sicher den Verkauf des "1-2-3-Tickets" steigern, aber keineswegs den Einnahmenentgang wettmachen. Verkehrsdienstleister befürchten zudem, dass ihnen der Entgang vom Bund nicht zur Gänze abgegolten wird. Das müsste dann durch Angebotskürzungen und/oder eine Erhöhung der Einzelfahrtpreise ausgeglichen werden, obwohl diese ohnehin schon zu hoch sind: Im Verbundbereich machen die Preise für Rückfahr- beziehungsweise Tageskarten 40 bis 90 (!) Prozent des Wochenkartenpreises aus. Verschlechterungen würden im Endeffekt dazu führen, dass der öffentliche Verkehr insgesamt weniger genutzt würde, also das genaue Gegenteil der Zielsetzung bewirken. Damit wäre das "1-2-3-Ticket" grandios gescheitert.
Salzburger Modell als bundesweite Alternative
Die meisten Arbeitnehmer pendeln in ihrer unmittelbaren Umgebung (Region) oder in die Nachbarregion, insgesamt drei Regionen decken die üblichen Mobilitätsbedürfnisse ab. Der Bedarf für eine Jahreskarte für ein ganzes Bundesland wie Niederösterreich oder Oberösterreich ist die Ausnahme. Das auf die Einheit Bundesland fixierte Modell führt dazu, dass unabhängig von der Entfernung das Pendeln innerhalb eines Bundeslandes gleich viel kostet und somit die Relationen verzerrt. Kurze Distanzen wären gleich teuer wie die Fahrt durchs ganze Bundesland. Andererseits müssten jene, die in das angrenzende Bundesland zur Arbeit fahren, die Zwei-Bundesländer-Variante um 730 Euro kaufen, auch wenn sie insgesamt nur eine relativ kurze Strecke befahren. Betroffen wären etwa Personen, die vom Umland nach Wien oder von Amstetten nach Linz pendeln. Burgenländer, die in Wien arbeiten, bräuchten sogar die Österreich-Variante.
Als Alternative böte sich das Salzburger Modell für ganz Österreich an: "1+x=Ö". So wie das Bundesland Salzburg tarifmäßig in sechs Regionen (Stadt Salzburg und die fünf Bezirke) unterteilt ist - eine Region: 365 Euro, zwei Regionen: 495 Euro, ab drei Regionen: 595 Euro -, könnten in jedem Bundesland annähernd gleich große Regionen definiert werden, die den historischen Vierteln entsprechen beziehungsweise Untereinheiten davon oder um die Hauptverkehrsachsen herum festgelegt werden. Dabei kostet die erste Region 365 Euro und jede weitere zusätzlich zum Beispiel 130 oder 100 Euro. Für Wien als zusätzliche Regionalzone entspricht das ohnehin dem heutigen Preis, für den gesamten Wiener Stadtverkehr müssten wohl zwei Ergänzungsregionen dazugekauft werden. Für das Wiener Umland müsste eine Sonderregelung getroffen werden. Ein Ticket für ein großes Flächenbundesland könnte mit fünf bis sechs Regionen gedeckelt werden, der Preis würde sich dann auf 700 bis 800 Euro belaufen. (Im Übrigen sei daran erinnert, dass die Wiener Grünen ursprünglich eine Jahreskarte für Wien um 100 Euro forderten, geworden sind es dann 365 Euro statt vorher 449 Euro, also um 84 Euro pro Jahr oder 7 Euro pro Monat billiger als vorher.)
Auch mit dem Regionenmodell "1+x=Ö" würden die Jahreskarten ab mittleren Entfernungen gegenüber heute deutlich billiger werden und zugleich der jeweilige Geltungsbereich größer, dennoch wäre der Zuschussbedarf geringer. Gegenüber dem "1-2-3-Ticket" würde die starke Verzerrung im Verhältnis Preis/Entfernung relativiert, und Pendeln in die angrenzende Region im Nachbarbundesland käme billiger. In jeder Region würde das Ticket als Netzkarte gelten, und ab x Regionen würde das Ticket dann in ganz Österreich gelten.
Würde das zukünftige, in allen Verkehrsmitteln geltende Österreich-Ticket 1.490 Euro kosten (wie seinerzeit im Jahr 2008 geplant), wäre es noch immer um 500 Euro billiger als die heutige Österreichcard, die nur in den Zügen der ÖBB und sämtlicher Regionalbahnen gilt, und entspräche dem Preisniveau des Schweizer Generalabos (3.860 Franken - etwa 1.500 Euro auf österreichische Lebenshaltungskosten umgelegt).
Hohe Preise für Einzelfahrten wirken abschreckend
Vorteilhafter erscheint ein Mix: das für ganz Österreich adaptierte Salzburger Modell ("1+x=Ö") und zugleich eine Verbilligung der Einzelfahrten im Verbundbereich. Nicht jeder Mensch ist Pendler, und nicht jeder - ob Pkw-Besitzer oder nicht - hat einen regelmäßigen Ortswechselbedarf. Will man erreichen, dass mehr Menschen als bisher den öffentlichen Verkehr nutzen, darf man nicht an den hohen Preisen für Einzelfahrten festhalten. Diese wirken abschreckend. Hier muss eine stärkere Degression für mittlere und längere Strecken greifen. Ergänzende Maßnahmen könnten sein:
die Vorteilscard-Ermäßigung nach Schweizer Vorbild nicht auf Bahnfahrten beschränken;
ein zukünftiges Regionen-Jahresticket als Ermäßigungsausweis für darüber hinausgehende Fahrten anerkennen;
das "Einfach-Raus-Ticket" Einzelpersonen zugänglich machen (so wie das Bayern-Ticket für eine Person um 26 Euro, das auch auf Buslinien und in städtischen Verkehrsmitteln in München, Nürnberg und anderen Städten gilt);
das "Freizeit-Ticket" um 11 Euro wie in Kärnten und der Steiermark überall einführen.
Klar ist, dass die Verbilligung der Einzelfahrten ebenfalls finanziert werden muss. Aber diese erscheint erfolgversprechender als extreme Flatrates für Bundesland-Jahreskarten.