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Ein Imperium sichtbar machen

Von Christian Hütterer

Reflexionen
Die Gottesmutter in einem Mosaik der Hagia Sophia - dem zentralen Bauwerk des Byzantinischen Reiches.
© Moment Open / Pang Tze Ru / getty images

Hier wird der Ruf nach Exzellenz in der Forschung erhört: In der Byzantinistik steht Österreich an der Weltspitze.


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Es war ein wundersames Imperium, das vor 570 Jahren sein Ende fand: Eine Drehscheibe zwischen Europa, Asien und Afrika, die Einflüsse aus allen drei Erdteilen aufnahm und sie verarbeitete; ein Ort, an dem die antike griechische Philosophie, das römische Recht und das Christentum zu einer neuen Kultur verschmolzen. Als osmanische Soldaten im Mai 1453 seine Hauptstadt Konstantinopel eroberten, bedeutete dies auch das Ende dieses Kaiserreiches mit dem Namen Byzanz, das über Jahrhunderte die Politik und Kultur in weiten Teilen Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens geprägt hatte.

Kaiser Konstantin mit einem Modell seiner Stadt: Mosaik in der Hagia Sophia.
© Myrabella / Public domain / via Wikimedia Commons

Sein Ursprung lag in der späten Antike. Durch die Völkerwanderung zerfiel das riesige Imperium Romanum, aber während in seinem Westen germanische Stämme die Herrschaft übernahmen, entstand im Osten ein Staat, der sich als Fortsetzung des Römischen Reichs definierte. Es entsprach auch diesem Selbstverständnis, dass sich seine Einwohner bis zum bitteren Ende als Romäer bezeichneten, obwohl in diesem Reich die griechische Sprache und Kultur dominierten. Erst in der Renaissance prägte der deutsche Humanist Hieronymus Wolf für dieses Imperium den Begriff Byzanz. Er griff darin den Namen der griechischen Siedlung Byzantion auf, die an der Stelle der späteren Metropole Konstantinopel lag.

Die Hauptstadt dieses Imperiums war nach dem römischen Kaiser Konstantin benannt. Er verlegte im Jahr 330 seine Residenz in diese Stadt am Übergang von Europa nach Asien und an der Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. In dieser Weltstadt hatte nicht nur der Kaiser seinen Sitz, sie war auch das politische, religiöse und wirtschaftliche Zentrum ihrer Zeit.

Schlechtes Image

Die Bedeutung von Byzanz kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden und erstreckte sich auf viele Bereiche: Von hier aus erfolgte durch die beiden Mönche Kyrill und Method die Christianisierung Ost- und Südosteuropas, Byzanz überlieferte viele Aspekte der antiken Kultur und die byzantinische Münze Solidus war jahrhundertelang die Leitwährung in weiten Teilen von Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten.

Obwohl Byzanz eine zentrale Rolle für die Entwicklung Europas spielte, ging mit der Eroberung von Konstantinopel viel Wissen über dieses Kaiserreich verloren. Dazu kam ein Imageproblem: Während die westeuropäische Geschichtsschreibung die Antike idealisierte, stellte sie Byzanz lange Zeit als korrupten und despotischen Staat mit verkommenen Sitten dar. So begann erst langsam die Erforschung von Byzanz, die sich zuerst auf sprachliche Themen, also vor allem auf das Weiterleben des antiken Griechisch in einem neuen Umfeld, konzentrierte.

Die Byzantinistik als wissenschaftliche Disziplin, welche die Geschichte und Kultur des Byzantinischen Reiches erforscht, entstand am Ende des 19. Jahrhunderts. In Wien war man damals vor allem durch das Naheverhältnis zu Südosteuropa, das lange Zeit unter byzantinischer Herrschaft gestanden war, an der Forschung über diese Region interessiert. Dazu kam, dass durch die Sammelwut österreichischer Fürsten und Wissenschafter über die Jahrhunderte viele Schriftstücke aus byzantinischer Zeit in Wien landeten. Diese Handschriften stellten einen guten Ausgangspunkt für die Forschung über Byzanz dar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Byzantinistik in Österreich schnell wieder Fahrt auf. Schon im März 1946, also nicht einmal ein Jahr nach dem Ende des Krieges, wurde die Österreichische Byzantinische Gesellschaft gegründet. Sie besteht bis heute und hat als Ziel die "Förderung der byzantinischen Studien, der Erforschung von Geschichte und Kultur von Byzanz", wie es in ihrer Satzung heißt. Zwei Jahre später folgte die Gründung einer Kommission für Byzantinistik an der Akademie der Wissenschaften, 1962 wurde schließlich an der Universität Wien das Institut für Byzantinistik und Neogräzistik eingerichtet.

Mit Lyrik beschriftet

Diese Aufbauphase der Byzantinistik ist untrennbar mit dem Namen Herbert Hunger verbunden. Er war nicht nur der erste Inhaber des Lehrstuhls für Byzantinistik, sondern schuf die Grundlagen für die Entwicklung dieser Disziplin in Österreich. Seit dieser Zeit war die wissenschaftliche Community, die Byzanz in all seinen Aspekten erforscht, in Wien breit aufgestellt und konnte sich weltweit eine führende Position erarbeiten.

Wie byzantinistische Forschung vor sich geht und welche unterschiedlichen Themenbereiche dabei abgedeckt werden, erklären zwei, die es wissen müssen: Krystina Kubina und Johannes Preiser-Kapeller. Beide forschen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über Byzanz, haben dabei allerdings sehr unterschiedliche Schwerpunkte.

Die deutsche Byzantinistin Krystina Kubina lebt seit 2014 in Wien. Über einen engagierten Lehrer und den Umweg von Altgriechisch und Latein kam sie zur Byzantinistik. Heute ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit die mittelalterliche byzantinische Dichtkunst. Sie stellt in einem Gespräch aber gleich klar, dass Gedichte in Konstantinopel im Alltag weitaus präsenter waren, als sie es in unserer Zeit sind. So wurden etwa viele Gebäude mit Gedichten beschriftet, denn die Bauherren konnten auf diese Weise ihre gehobene soziale Stellung zum Ausdruck bringen.

Johannes Preiser-Kapeller und Krystina Kubina erforschen an der Österreichischen Akademieder Wissenschaften die byzantinische Kultur und Geschichte.
© Christian Hütterer

Gedichte waren aber nicht nur im Stadtbild allgegenwärtig, sondern wurden auch in den literarischen Salons der Gebildeten diskutiert. Das inhaltliche Spektrum der byzantinischen Lyrik war jedoch viel weiter gefasst, als es dem heute üblichen Verständnis von Gedichten entspricht. So wurden etwa in der Tradition der Antike in byzantinischer Zeit zahlreiche Lehrgedichte über naturwissenschaftliche Themen verfasst. Aber nicht nur die Themen, sondern auch viele formale Vorgaben wurden von antiken Vorbildern übernommen und noch Jahrhunderte später im Mittelalter von den byzantinischen Dichtern befolgt. Umso spannender findet Kubina, wie die Autoren innerhalb dieses eng gesteckten Rahmens versuchten, persönliche Akzente zu setzen.

Als Korn knapp wurde

Der Waldviertler Johannes Preiser-Kapeller beschäftigt sich mit der Einbindung des Byzantinischen Imperiums in globale Strukturen und erforscht dabei den kulturellen Einfluss von Byzanz, der weit über seine politischen Grenzen hinausreichte: Vom Donauraum über den Kaukasus bis nach Syrien prägte das Imperium über Jahrhunderte hinweg die dortigen Kulturen. Darüber hinaus hat sich Preiser-Kapeller in den letzten Jahren intensiv mit der Umweltgeschichte des Byzantinischen Reiches auseinandergesetzt. Klimaänderungen und natürliche Phänomene wie Vulkanausbrüche hatten massive Auswirkungen auf diese Gesellschaft, die stark von der Landwirtschaft geprägt war.

Immer wieder musste Byzanz auf geänderte Bedingungen reagieren, zeigte sich dabei aber sehr flexibel. Ein Beispiel: Als die Provinz Ägypten, welche für die Weizenversorgung von Konstantinopel sehr wichtig war, im 7. Jahrhundert von den Arabern erobert wurde, fielen die Getreidelieferungen in die Hauptstadt aus. Byzanz musste also in kurzer Zeit seine Lieferketten diversifizieren und neue Lieferanten suchen - diese Problematik kommt uns Westeuropäern des 21. Jahrhunderts sehr bekannt vor und macht klar, dass Byzantinistik keineswegs nur im oft zitierten Elfenbeinturm passiert, sondern auch viele Analogien zur Gegenwart liefert.

Die Beispiele von Krystina Kubina und Johannes Preiser-Kapeller zeigen auch eine Besonderheit der Wiener Byzantinistik. Während sich andere akademische Institutionen auf bestimmte Aspekte der Byzanzforschung konzentrieren, werden in Wien viele unterschiedliche Bereiche abgedeckt. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ist nicht nur sehr befruchtend, sondern liefert auch umfassende Ergebnisse und trägt so zur führenden Rolle des wissenschaftlichen Standortes Wien bei.

Die Erfolge werden auch immer wieder belohnt. Im Jahr 2015 ging der höchstdotierte Preis für wissenschaftliche Forschung in Österreich, der Wittgenstein-Preis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, an die Byzantinistin Claudia Rapp, die nicht nur als Professorin an der Universität Wien lehrt, sondern seit kurzem auch das Institut für Mittelalterforschung an der Akademie der Wissenschaften leitet. Das Preisgeld wurde genutzt, um mit dem Projekt "Byzanz in Bewegung" die kulturelle Bedeutung von Byzanz und die Flexibilität der byzantinischen Gesellschaft zu analysieren und darzustellen.

Die Hagia Sophia im heutigen Zustand – die vier Minarette kamen unter der Regentschaft der Osmanen hinzu. 
© Arild Vågen / CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) / via Wikimedia Commons

Vor wenigen Wochen gab es wieder erfreuliche Nachrichten, denn ein neues Projekt mit Beteiligung der Byzantinistik wurde als Cluster of Excellence der österreichischen Forschung ausgewählt. Dabei soll unter dem Titel "EurAsian Transformations" in den nächsten Jahren das kulturelle Erbe Eurasiens erforscht werden. Auch hier finden sich viele Bezüge zu unserer Zeit, denn dieser politisch stark konnotierte Begriff hat seit der russischen Invasion der Ukraine eine erschreckende Aktualität gewonnen.

Dass Byzanz auch in der breiten Öffentlichkeit auf großes Interesse stößt, bewiesen zuletzt zwei Ausstellungen zu diesem Thema auf der niederösterreichischen Schallaburg, die von jeweils über 120.000 Gästen gesehen wurden. Bemerkenswert war dabei, dass die Ausstellungen besonders viele Besucher anzogen, deren familiäre Wurzeln in Südosteuropa, also im früheren Herrschaftsbereich des Byzantinischen Reiches, lagen.

Gekappte Karrieren

In das Gespräch mit Krystina Kubina und Johannes Preiser-Kapeller mischen sich trotz dieser erfreulichen Nachrichten aus der Byzantinistik auch manche skeptischen Töne, vor allem, wenn es um die Zukunft dieses Faches geht. Unbefristete Verträge für Wissenschafter sind mehr als rar, zugleich dürfen befristete Verträge höchstens für eine Gesamtdauer von acht Jahren vergeben werden. So manche akademische Karriere steht nach Ablauf dieser Zeit vor dem Aus. Die Betroffenen müssen sich in vielen Fällen beruflich neu orientieren, zugleich geht für die akademischen Institutionen damit viel Expertise, die über Jahre hinweg mit Aufwand und Engagement aufgebaut wurde, verloren.

Es bleibt zu hoffen, dass Wege gefunden werden, um diese Lage zu verbessern und die weltweit führende Stellung der Byzantinistik in Wien zu sichern.

Christian Hütterer, geboren 1974, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, schreibt Kulturporträts und historische Reportagen.