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Ein innenpolitisches Leichtgewicht

Von Paul Taylor und Howard Goller

Politik

Jerusalem/London - Kann ein zurückhaltender, 34-jähriger Augenarzt mit einem Faible für Handys und Internet ein Land wie Syrien allein deshalb regieren, weil er mit Nachnamen Assad heißt? Nahost-Experten bezweifeln, ob Bashar Assad, Sohn und voraussichtlicher Nachfolger von Präsident Hafez Assad, die nötige Autorität und Rücksichtslosigkeit für die vor ihm liegende Aufgabe hat. Dementsprechend könnten Syrien und dem Nahen Osten eine Zeit der Unsicherheit bevorstehen.


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Der wohlerzogene Bashar komme wohl als Reformer und Modernisierer, kaum aber als Mafia-Boss infrage, schrieb der amerikanische Politologe Edward Luttwak im britischen "Sunday Telegraph". In der syrischen Innenpolitik könnte ihm dieser Mangel gefährlich werden. Jesid Sajigh von der Universität Cambridge warnt daher, Bashar werde kaum als starker Mann wie sein Vater, sondern nur als Kopf einer Gruppe mehrerer einflussreicher Politiker regieren können, um die Kontrolle über Geheimdienste, Militär und Wirtschaft zu behalten.

Ohne den Schutz seines Vaters könne es für Bashar schwierig werden, sich zu behaupten - vor allem weil dieser nicht mehr alle potenziellen Gegner aus der alten Garde aus dem Weg räumen konnte. Zu Stabilität werde dies kaum führen, sagt Sajigh. Als ersten Schritt der Machtsicherung stellte Syrien noch am Montag einen Haftbefehl gegen Bashars im Exil lebenden Onkel Rifaat Assad aus, um ihn am Betreten des Landes zu hindern. Rifaat gilt als größte Bedrohung für Bashar. Wegen eines Putschversuches verbannte ihn Hafez Assad in den 80er Jahren ins Exil.

Israelische Experten wissen noch nicht so recht, was sie von Bashar halten sollen und geben sich hoffnungsvoll. Schlimmer als mit seinem hartnäckigen Vater könne es kaum werden, sagt Mark Heller vom Institut für Strategische Studien der Universität Tel Aviv. Hafez Assad habe immer vom Frieden gesprochen, aber nie wirklich etwas dafür getan. Die Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien sind bisher am Streit um die besetzten Golan-Höhen gescheitert. Der israelische Justizminister Yossi Beilin äußerte sich zuversichtlich. Bashars Vater habe die Last der vergangenen 30 Jahre mit sich herumgeschleppt, und sei zum Hindernis für den Friedensprozess geworden. Sein Sohn aber wisse, dass es nicht nur Syrien in der Welt gebe.

Doch andere Experten warnen, dass Bashar gerade wegen seiner noch nicht gesicherten Machtbasis in Damaskus schwerlich kompromissbereiter sein könne als sein Vater. Weil Hafez Assad unbestrittener Staatschef in Syrien war, hätte er nach Ansicht von Diplomaten auch die Möglichkeit gehabt, Kompromisse im Friedensprozess innenpolitisch durchzusetzen. Sein Nachfolger wird dagegen in einer viel schwächeren Position sein. Über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert der dann drohende Vorwurf, Hafez Assad verraten und Israel nachgegeben zu haben.