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Ein italienischer Rittertraum

Von Robert Schediwy

Reflexionen

Die Hauptstadt der Insel Rhodos ist eine viel besuchte Sehenswürdigkeit. Ihre historischen Bauten erhielten jedoch erst in den 1930er Jahren die schöne Gestalt, die bis heute zu sehen ist.


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Das "Regierungsgebäude" in Rhodos mit spätgotisch verschönter Fassade.
© Schediwy

Die Insel Rhodos ist heute ein gerne besuchtes Ziel des Kreuzfahrt- und Badetourismus, sie hat aber auch auf kulturellem Gebiet einiges zu bieten. Mit der berühmten Ritterstraße und dem Großmeisterpalast präsentiert sie sich - ähnlich dem viel weiter westlich gelegen Malta - als stolzer Vorposten abendländischer Kreuzritterherrlichkeit. In der Kurzbeschreibung der Altstadt als UNESCO Weltkulturerbe steht das so: "Der Johanniter-Ritterorden besetzte Rhodos 1309 bis 1523 und verwandelte die Stadt in eine Festung. Sie geriet in der Folge unter türkische und italienische Herrschaft. Mit dem Großmeisterpalast, dem großen Hospital und der Ritterstraße ist die Oberstadt eines der schönsten städtischen Ensembles der gotischen Epoche. In der Unterstadt steht gotische Architektur neben Moscheen, öffentlichen Bädern und anderen Gebäuden der ottomanischen Periode". (Übersetzung des Autors, der englische Text steht auf der UNESCO- Website)

Zankapfel Ost/West

In Wahrheit ist die Sache freilich komplizierter. Zum einen stellt sich die Frage: Wie "wirklich gotisch" sind die genannten gotischen Gebäude der Oberstadt? Zum anderen erscheint es doch am Platze, sich mit der Bedeutung der hier bloß ganz am Rande genannten italienischen Periode genauer auseinanderzusetzen. Dabei wären heute recht wenig bekannte Namen wie Mario Lago und sein Leibarchitekt und Stadtplaner Florestano di Fausto zu nennen. Sie haben in beachtlichem Maße das aktuelle Bild der schönen Stadt Rhodos geprägt.

Die strategisch günstig gelegene Insel Rhodos und ihre gleichnamige Hauptstadt waren seit der Antike ein Zankapfel zwischen Ost und West, häufig besetzt von fremden Herren, angefangen von den Persern, Phöniziern und Römern bis zum Horror der kurzen deutschen Besatzungszeit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Inselgriechen, seit der Reichsteilung von 395 dem oströmischen, also Byzantinischen Reich zugehörig, wurden 1309 von aus Jerusalem vertriebenen Johannitern unterworfen. Sehr beliebt waren die katholischen "Franken" bei der einheimischen, griechisch-orthodoxen Bevölkerung nicht. Die meist aus Frankreich kommenden Ritter regierten mit harter Hand und achteten auf Distanz zu den ansässigen Griechen. Ihr Abgang wurde von diesen nicht unbedingt als Verlust empfunden. Fast vier Jahrhunderte lang, von 1523 bis 1912, war Rhodos dann Teil des Osmanischen Reiches und die mittelalterlichen Häuser der Altstadt wurden von den neuen Herren in Besitz genommen.

Italien, wie Deutschland eine "zu spät gekommene" europäische Großmacht, konnte erst knapp vor dem Ersten Weltkrieg nennenswerte Kolonien erwerben. Als Frucht des italienisch-türkischen Krieges von 1911 bis 1912 gelang es aber doch, wenigstens Libyen und die ägäischen Inseln des sogenannten Dodekanes zu ergattern. 1912 bis 1943 stand damit auch Rhodos unter italienischer Besatzung.

Wie bei allen Herrschaftssystemen auf prekärer Grundlage, stellte sich auch bei den neu erworbenen Kolonien Italiens die Frage nach der historischen Rechtfertigung der Landnahme - und hier kommt der katholische Johanniterstaat ins Spiel. Etwa vier Jahrhunderte hatte man seine Baudenkmale zweckentfremdet oder schlicht verkommen lassen - der Großmeisterpalast der Kreuzritter wurde beispielsweise zum Gefängnis und Munitionsdepot.

Nun wurden diese historischen Erbstücke im Sinne der "mare nostrum"-Ideologie neu entdeckt und liebevoll restauriert bzw. im Bedarfsfall sogar "nachgeschaffen". Kurz und klar gesagt: Die Altstadt von Rhodos, wie wir sie heute sehen, ist in großem Ausmaß ein Produkt historisierender Restaurierung durch das faschistische Italien, einer Restaurierung, die ganz bewusst das Erbe der Johanniter hervorhob.

Politik und Baukunst

Wie ging das vor sich? Man muss zugeben: in relativ zivilisierter Art. Erster Zivilgouverneur der Insel war der Karrierediplomat Mario Lago (1878-1850). Nicht zuletzt seinem ausgleichenden Wirken ist es zu verdanken, dass die italienische Periode, gemessen an den sonstigen Schicksalen von Rhodos, heute als relativ glückliche Zeit erinnert wird. Als ersten Akt seiner Regierung bestellte Mario Lago den Hauptarchitekten und Entwerfer des Regulierungsplans der Stadt Rhodos, Florestano di Fausto (1890-1965). Und dieser junge Architekt hatte es in sich. Sein Regulierungsplan ging davon aus, das historische Zentrum von Alt-Rhodos intakt zu bewahren. Der Handelshafen, der Touristenhafen, die Wohnviertel, die archäologischen Stätten sollten sich aber harmonisch und wie bei einem Bühnenbild um diesen Kern gruppieren. Allerdings spielten hier nicht nur ästhetische Gesichtspunkte mit: Um die Beziehungen zur nahen, wieder erstarkten Türkei nicht zu stören, sollte beispielsweise ein Friedhof, der als Begräbnisstätte zahlreicher Belagerer von Rhodos aus 1523 fungierte, vor der Zerstörung bewahrt werden.

Di Fausto wusste offenbar genau über die ihm zugewiesene Aufgabe Bescheid, nämlich einerseits ein schönes "Bühnenbild" zu schaffen und andererseits die von Mario Lago gewählte politische Option einer Versöhnung der hauptsächlichen Volksgruppen im Dodekanes (Griechen, Türken und Juden) unter italienischer Führung zu unterstützen. (Lago, ein kultivierter Gentleman mit guten Verbindungen zur italienischen Königsfamilie, aber auch zu Benito Mussolini, hat übrigens 1941 bei Mondadori einen umfangreichen Roman veröffentlicht, in dem er seine Kultur- und Versöhnungsarbeit im Detail beschreibt.)

1922 bis 1936 realisierten di Fausto und sein Team eine stattliche Anzahl öffentlicher und halb öffentlicher Gebäude in der Stadt Rhodos, darunter die Hauptpost, das Gerichtsgebäude, den Gouverneurspalast, den überdachten Markt, das Theater, das Aquädukt, aber auch das Minarett der örtlichen Moschee. Im italienischen Dodekanes wurde nach deutschem Vorbild das Grundbuch eingeführt, das zentrale rhodische Bergmassiv mit dem in Griechenland gängigen Namen Profitis Ilias wurde weiträumig aufgeforstet und mit dem italienischen Musterdorf Campochiaro (heute Eleousa) sowie zwei Hotels im alpinen Stil ausgestattet.

Willkürliche Eingriffe

In den letzten Jahrzehnten hat sich die kritische, zum Teil aber auch anerkennende Sicht auf das bauliche und institutionelle Erbe des italienischen Kolonialismus verstärkt. Sean Andersons Monografie über Florestano di Fausto nennt diesen beispielsweise einen der wichtigsten Vertreter der italienischen Kolonialarchitektur. Ähnlich bewertet ihn die Architekturhistorikerin Mia Fuller. Zugleich wird nachdrücklich Wert gelegt auf die politische Kritik und die Positionierung der Kolonialarchitektur im Rahmen der Machtausübung des Faschismus. Es ist die Rede von "selektiver Erinnerung und manipulierten Denkmalen".

Dass es bei den Rekonstruktionen des Faschismus nicht immer ganz redlich zuging, belegt im Falle di Faustos etwa das bei näherer Betrachtung offenkundige Bemühen, die historischen Spuren italienischer Präsenz diskret zu verstärken. So zeigt etwa das Regierungsgebäude beim Hafen deutliche Einflüsse der venezianischen Gotik, und Teile der Ritterstraße wurden durchaus willkürlich wieder aufgebaut.

Die Ritterstraße war zur Zeit der italienischen Eroberung übrigens von türkischen Familien bewohnt. Weißer Putz und hölzerne Erker charakterisierten sie. Diese allzu "orientalischen" Elemente mussten verschwinden.

Die prestigeträchtigste Baustelle des Regimes war aber der 1856 durch eine Munitionsexplosion schwerstbeschädigte Großmeisterpalast. Hier handelte es sich de facto um einen Neubau. Auch die Kathedrale von San Giovanni dei Cavalieri (1924-25) wurde als bloß ungefähre Rekonstruktion aufgrund zeitgenössischer Drucke neu errichtet.

Florestano di Fausto, ein Meister der Stilmischung von Elementen der Moderne mit byzantinischen und venezianischen Anklängen, baute also politische Architektur, die mit der Koexistenz ethnischer und religiöser Gruppen unter italienischer Flagge, wie von Mario Lago gepflegt, wunderbar zusammenpasste. Ob das angesichts der Mario Lago zugewiesenen Aufgabe als legitim anzusehen ist oder nicht, mag strittig sein - den Touristen gefällt das Resultat, und man muss wohl zugeben, dass die italienische Kolonialherrschaft auf Rhodos menschenfreundlichere Resultate zeitigte als die durch Bluttaten und massenhafte Judendeportationen gekennzeichnete kurze deutsche Schreckensherrschaft von 1943 bis 1944.

Nachklang

Nach dem Ende des Kriegs wurde Florestano di Fausto Politiker auf der Seite der Christdemokraten und der Königstreuen. Mit der Kunst der Moderne hielt er es nicht gerade: In einer Rede im Abgeordnetenhaus vom 23. Februar 1946 konstatierte di Fausto beispielsweise, es habe sich ein "fieberhafter und ungesunder Wunsch nach Neuerung" eingenistet, und erklärte die Abstrak- tion, den Relativismus und den Existenzialismus als "Manifestationen der Fäulnis".

Auf Rhodos wurden nach dem Anschluss des Dodekanes die meisten der von der Kolonialmacht errichteten Kirchen wieder dem orthodoxen Ritus überantwortet. Gelegentlich sieht man noch Ruinen aus der "Italienerzeit", etwa am Hauptplatz des ehemaligen Musterdorfs von Eleousa. Dort war nach dem Krieg einige Jahrzehnte hindurch ein Lungensanatorium untergebracht. Und die ausführliche und eigentlich seriöse Monografie "Die Ritter von Rhodos" von Elias Kollias verschweigt elegant die Tatsache, dass es sich bei der heutigen Touristenattraktion Großmeisterpalast praktisch um einen Neubau der 1930er Jahre handelt.

Robert Schediwy, geboren 1947, lebt als Sozialwissenschafter und Kulturpublizist in Wien. Verfasser zahlreicher Sachbücher. Unlängst erschienen: Menschen Mächte Monumente – Architektur Urbanistik Geschichte. (LIT Verlag, Wien 2017) Der Aufsatz hier ist ein Auszug aus diesem Buch, das sich mit Fragen aus dem Grenzbereich von Architektur, Urbanistik, Politökonomie und Psychologie in internationaler Perspektive beschäftigt.