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Ein "Ja, vielleicht" zur Europa-Vision

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Größere Flexibilität bei Hilfen für angeschlagene Mitgliedstaaten.


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Brüssel. Druck? Selbstverständlich war er da. Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel danach gefragt wurde, wollte sie gar nicht leugnen, dass beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU genug Druck ausgeübt wurde. Da gebe es zunächst jenen auf den Finanzmärkten, die es zu beruhigen gelte, erklärte Merkel. Dann habe es auch die Bedrückung solcher Länder wie Spanien und Italien gegeben, die unter der hohen Zinsenlast stöhnen. Schließlich habe sie selber gedrückt, dass die Prozeduren für Hilfsmaßnahmen für schuldenbelastete Staaten eingehalten werden, erzählte die Kanzlerin.

Dass aber sie persönlich unter ungeheurem Druck gestanden habe, wollte Merkel nicht bestätigen. Dabei gehört Deutschland zu den Staaten, die sich vehement gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden aussprechen, solange es keine größeren gemeinsamen Kontrollmöglichkeiten gibt. Gerade südeuropäische Länder aber drängen auf mehr finanzielle Unterstützung durch die Union. Mögliche Maßnahmen dazu wollten sie denn auch nicht - wie ursprünglich geplant - erst am Freitag diskutiert wissen, sondern schon am ersten Tag des Gipfeltreffens.

So wurde die Zusammenkunft vom Donnerstag zu einer Sitzung, die sich bis fünf Uhr Früh in den Freitag hineinzog. Und am Ende hatten Italien und Spanien nicht nur eine Vorverlegung der Debatte erreicht, sondern auch gewisse Zugeständnisse bei Rettungsaktionen für angeschlagene Mitgliedstaaten. So konnte sich Rom darüber freuen, dass ein Land bei Stützungsmaßnahmen am Anleihemarkt keine zusätzlichen Auflagen über die reguläre EU-Finanzkontrolle hinaus erfüllen muss. Madrid wiederum setzte eine Erleichterung für Bankenhilfen durch, die aus dem Euro-Rettungsschirm kommen. Künftig soll es die Möglichkeit geben, Geldinstitute direkt zu stützen und nicht nur über den Umweg des Staates. Die Details zur Haftung müssen noch ausgearbeitet werden.

Ein Pakt fürs Wachstum

Dennoch konnte auch Merkel darlegen, dass Berlin nicht allzu viel von seinen Positionen abgerückt sei. Auch wenn der Rettungsschirm ESM nun flexibler eingesetzt werden könne, werden die Regeln dafür keineswegs aufgeweicht, sagte sie. Denn um Hilfe in Anspruch nehmen zu können, müssen sich die Länder verpflichten, gewisse Auflagen zu erfüllen. Die wiederum sind in den Länderempfehlungen festgelegt, die die Europäische Kommission für die Einhaltung der Budgetdisziplin ausgibt. "Strikte Konditionalität" nennt es der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.

Merkel hatte gute Gründe, diese Bedingungen in den Vordergrund zu rücken. Der ESM musste nämlich ebenso wie der Fiskalpakt für striktere Haushaltsdisziplin noch im Bundestag beschlossen werden. Dort hatten die Beschlüsse des Gipfels zunächst für Aufregung gesorgt. Vertreter der SPD kritisierten die "180-Grad-Wende" der Kanzlerin, signalisierten dann aber, den Verträgen doch zustimmen zu wollen.

Auch in Österreich muss das Parlament noch die Abkommen absegnen. Daher betonte ebenfalls Bundeskanzler Werner Faymann, dass eine Änderung der Verträge trotz der in Brüssel gefällten Entscheidungen nicht nötig sei. Eine Zustimmung dazu hatte die Opposition unter anderem davon abhängig gemacht, dass sich die Regierung für die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen einsetzen würde. So betonte Faymann, dass nun erstmals ein Zeitplan dafür festgelegt worden war. Da eine europaweite Besteuerung derzeit nicht möglich ist, soll eine Gruppe von Ländern damit vorpreschen. Bis Ende des Jahres soll der Beschluss dazu angenommen sein, meinte der Kanzler.

Allerdings müsste bis dahin auch die EU-Kommission ihre Prüfung dazu abgeschlossen haben und die Einwilligung anderer Länder sowie eine Anhörung des Europäischen Parlaments erfolgt sein. Die Besteuerungsbasis sollte demnach eine möglichst breite sein: Niedrige Steuersätze gäbe es für Finanztransaktionen mit Aktien, Anleihen und Derivaten, in geregelten und ungeregelten Märkten.

Bis Jahresende sollen weiters zusätzliche Details für eine künftige Bankenunion präsentiert werden. Für eine direkte Kapitalhilfe an Institute soll eine zentrale Bankenaufsicht die Voraussetzung sein. Der EZB soll dabei eine zentrale Rolle zufallen. Generell einigten sich die EU-Staaten darauf, "auf eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion hinzuarbeiten". Mit einer engeren Abstimmung in der Finanz- und Haushaltspolitik sollen künftig Schuldenkrisen verhindert werden.

Kurzfristigere Maßnahmen sind hingegen im Wachstumspakt festgelegt, der dabei helfen soll, die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Konjunkturimpulse haben einen Umfang von 120 Milliarden Euro, außerdem erhöhen die Länder das Kapital der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro, sodass diese wiederum Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro vergeben kann. Ebenso sollen 4,5 Milliarden Euro in sogenannten Projektanleihen verwendet werden, was Privatinvestoren einen Anreiz für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten geben soll.

Euro-Anleihen nicht in Sicht

Zufrieden mit den Ergebnissen des Treffens zeigte sich jedenfalls EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Mit den Beschlüssen zu den Rettungsmaßnahmen und der Bankenaufsicht sei ein wichtiger Schritt Richtung Bankenunion getan, stellte er fest. Damit werde die Euro-Zone den Teufelskreis aus steigenden Schulden und angeschlagenen Geldinstituten durchbrechen.

Eine Vergemeinschaftung der Schulden in Form von Euro-Anleihen etwa ist zwar noch nicht in Sicht. Mit der Ankündigung, dass es so etwas nicht geben werde, solange sie lebe, könnte Bundeskanzlerin Merkel jedoch unter Umständen falsch gelegen sein. Zumindest wenn es nach ihrem österreichischen Amtskollegen geht: "Wenn wir jedes Mal so Beschlüsse zustande bringen" und mit "viel Ordnung und Disziplin" werde Merkel die Euro-Anleihen doch noch erleben, befand Faymann.