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Ein Jahr "braunes Volksfest"

Von WZ-Korrespondent Fabian Köhler

Politik

Am Anfang waren es 350, mittlerweile sind es Tausende: Deutschlands flüchtlingsfeindliche Parallelgesellschaft.


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Dresden. Man kann zwei Versionen dieses Montagabends in Dresden erzählen. Da gibt es die Version des Jubiläums einer fremdenfeindlichen Bewegung, die es auch ein Jahr nach ihrem ersten Aufmarsch schafft, Zehntausende auf die Straße zu bekommen. Da ist aber auch die Geschichte des Gegenprotests, der es nach einem Jahr nun endlich auch geschafft hat, rund 15.000 Menschen gegen Pegida zu mobilisieren.

Die flüchtlings- und islamfeindliche Protestbewegung "Pegida" feierte am Montag ihr einjähriges Jubiläum. Und Zehntausende kamen: Die einen wie jede Woche mit rassistischen Parolen und "internationalen Gästen", wie Pegida-Frontmann Lutz Bachmann angekündigt hat. Die anderen, das ist ein Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Aktivisten, das zumindest an diesem Tag die Dresdner Innenstadt nicht den Rassisten überlassen wollte. "Herz statt Hetze" heißt der Slogan der einen. "Aus Liebe zu deinem Land" der Euphemismus der anderen.

Von "deutlich mehr als in den letzten Wochen" hatte Dresdens Polizeisprecher Marko Laske schon am Mittwoch gesprochen. Von "harten Rechtsextremisten" und "Rattenfängern" sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der in den vergangenen Wochen meist noch um "Verständnis für die Sorgen und Ängste" warb. Von "Große Sorge, dass das heute mit Gewalt endet" spricht hingegen Jürgen Kasek. Schon am frühen Abend sollte die Angst des Sprechers der sächsischen Grünen bestätigen. Am Rande des Dresdner Theaterplatzes flogen Böller auf Gegendemonstranten. Gruppen organisierter Neonazis verabredeten sich zur späteren Jagd auf "Zecken". "Emotionsgeladen", nannte das die Dresdner Polizei auf Twitter.

Am 19. Oktober 2014 war es, als sich nach einem Aufruf auf Facebook hier 350 Menschen unter dem sperrigen Namen "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" versammelten. Beim friedlichen Protest, den Initiator Lutz Bachmann auch am Montag beschwor, blieb es nie.

Angriffe auf Flüchtlingsheime

Über 500 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat das Bundesinnenministerium seit Jahresbeginn gezählt. Angriffe auf Flüchtlinge haben sich gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. Mindestens 40 Menschen wurden dabei teils schwer verletzte. Zuletzt rammte am Samstag in Köln ein Flüchtlingsgegner der Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ein Messer in den Hals.

"Bisher war Pegida immer die absolute Übermacht. Heute sind sie umzingelt. Von allen Seiten werden sie lauten Widerspruch hören", sagte Kasek. Er ist einer der Organisatoren des Gegenprotests. Nicht nur am Montag in Dresden. Auch in Heidenau, Freital und Meißen hat Kasek in den vergangenen Wochen Proteste angemeldet. Eigentlich so ziemlich in allen sächsischen Orten, deren Name vor einem Jahr noch kaum einer kannte und die nun zum Sinnbild neuer deutscher Fremdenfeindlichkeit geworden sind. Von vier Seiten marschierten die Gegendemos am Montag auf die Pegida-Kundgebung zu und sorgten dafür, dass auf dem Theaterplatz die "Refugees Welcome" die "Wir sind das Volk"-Slogans übertönten. Dafür, dass es zwischen beiden Gruppen bis zum Abend nicht zu größeren Ausschreitungen kamen, sorgten mehrere Hundertschaften der sächsischen Polizei. Die rassistischen Parolen konnten sie aber nicht verhindern. Genauso wenig wie einen schwer verletzten Pegida-Anhänger, der laut einem Bericht der "Sächsischen Zeitung" bei Auseinandersetzungen zwischen Pegida-Anhängern und Gegendemonstranten mit einer Eisenstange getroffen wurde. "Das wird heute unsere größte Party seitdem Reichsparteitag von 33", sagt ein älterer Mann mit Pudelmütze und erntet das erhoffte Gelächter. Lutz Bachmann, die Dresdner Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling wettern gegen "Sozialschmarotzer" und "Volksverräter". Der islamfeindliche Autor Akif Pirinçci spricht von Muslimen, die "Ungläubige mit ihrem Moslemsaft vollpumpen". Die Menge antwortet mit "Wir sind das Volk" und "Merkel muss weg".

Pegida-Ängste ernstnehmen

Doch für viele Gegendemonstranten sind die rund 20.000 Pegida-Anhänger nicht das einzige Problem an diesem Abend. "Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack", ruft eine Gruppe aus Tausenden Gegendemonstranten, die nur 20 Meter und eine Hundertschaft der Polizei von Pegida trennt. Ein Jahr Pegida, das ist auch ein Jahr immer schärferer Asylgesetze in Deutschland. Und es ist ein Jahr, in dem Spitzenpolitiker von SPD bis CSU immer noch fordern, "Sorgen und Ängste" von Pegida-Anhängern ernstzunehmen. "Pegida ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit, den man nicht ignorieren kann", sagt Hessens CDU-Ministerpräsident noch am Montag gegenüber der Tageszeitung "Die Welt", dessen Partei Grünen-Sprecher Kasek vorwirft, "mittlerweile im Wortlaut die Forderungen der Pegida übernommen" zu haben.

"Da ist eine Parallelgesellschaft entstanden, die meint, sie hat das Recht dazu hier jede Woche ein braunes Volksfest zu feiern", sagt Kasek. Ein Jahr nachdem sich hier die ersten 305 Teilnehmer versammelten, könnte man am Montagabend meinen, er hätte unrecht und es handle sich nicht lediglich um eine Parallelgesellschaft. Fast. Würden über die Polizeiketten am Theaterplatz an diesem Abend nicht nur rassistische Parolen, sondern auch die Sprechchöre von tausenden Gegendemonstranten hallen.