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"Premier Maliki hat es sich mit allen verdorben" - vor allem mit den Sunniten.
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Bagdad. Auch dieses Jahr sind in Bagdad die Neujahrsfeierlichkeiten ausgefallen. Statt Feuerwerkskörper wurden Bomben gezündet. Eine offensichtlich koordinierte Anschlagsserie in mehreren Städten Iraks an Silvester forderte landesweit mehr als 20 Tote und unzählige Verletzte. Es waren zumeist schiitische Pilger, die zum Ziel des Terrors wurden. Gleichzeitig mit dem Jahresende begingen die Schiiten das sogenannte Arbeen-Fest, der vierzigste Tag, nachdem ihr Gründer Imam Hussein vor 1333 Jahren ermordet wurde. Im muslimischen Glauben ist es Brauch, dass die Hinterbliebenen eines Verstorbenen 40 Tage nach seinem Tod noch einmal gedenken. So ist es nicht eindeutig, ob die Bomben dem schiitischen Gedenkfest oder dem einjährigen Abzugstag der US-Truppen aus dem Irak geschuldet waren. Vielleicht sogar beidem. Sicher ist nur, dass der Tag bewusst gewählt wurde. Die Anschläge im Irak haben immer auch symbolischen Hintergrund.
Vor einem Jahr haben die letzten US-Soldaten den Irak verlassen - sieht man von den Truppen ab, die die weltgrößte US-Botschaft in der Hauptstadt Bagdad bewachen. Seitdem der letzte GI das Tor nach Kuwait zugemacht hat und dorthin auf die US-Militärbasis entschwunden ist, haben die Spannungen im Zweistromland kontinuierlich zugenommen. Nur wenige Stunden nach dem Abzug brach die Regierungskoalition in Bagdad zusammen und verfiel in eine Dauerkrise, die bis heute anhält. Dass Regierungschef Nuri al-Maliki genau vor einem Jahr in einer Fernsehansprache die volle Souveränität beschworen und die Iraker zur Einheit aufgerufen hatte, konnte daran nichts ändern. Das Land blieb gespalten. Für die millionenfach verschickten SMS mit guten Neujahrswünschen - unterschrieben mit "euer Bruder Nuri al-Maliki" - erntete er Hohn und Spott. Die Iraker wussten schon damals, dass er das Land nicht einen, sondern noch mehr spalten werde.
5000 Anschlagsopfer
Inzwischen sind wieder fast 5000 Zivilisten durch Selbstmordattentate oder andere Anschläge ums Leben gekommen, nachdem die Opferzahl vor dem US-Abzug drastisch gesunken war. Straßen, Schienen und Stromnetze sind noch immer in einem fürchterlichen Zustand. Generatorenlärm prägt nach wie vor den Alltag. Die Korruption blüht. Im letzten Bericht von Transparency International rangiert der Irak an achter Stelle der korruptesten Länder weltweit. Vor einigen Wochen wurde ein Waffengeschäft zwischen Irak und Russland wegen Korruption annulliert, Maliki entließ seinen Regierungssprecher. Der eigentlich in den Strudel der Korruption geratene kommissarische Verteidigungsminister Saadun Duleimi genießt jedoch nach wie vor das Vertrauen des Premiers, der seit 2010 alle Schlüsselressorts - Verteidigungs-, Innenministerium und Ministerium für Nationale Sicherheit - selbst in der Hand hat. Eine Regierung der nationalen Einheit, wie er sie wortgewaltig nach den Parlamentswahlen anstrebte, sieht anders aus. Deshalb werden Vorwürfe, Maliki etabliere eine neue Diktatur im Irak, immer lauter.
"Maliki hat es sich mittlerweile mit allen verdorben", meint der Herausgeber der Tageszeitung "Al Sabbah al Jadeed", Ismael Zayer. Die kurdischen Parteien, die lange an der Koalition einer Einheitsregierung mit Maliki festhielten, sind auf Konfrontationskurs mit dem Schiiten. Seit zwei Monaten stehen einander zentral-irakische Truppen unter Malikis Kommando und kurdische Truppen der Regionalregierung Irak-Kurdistans vor Kirkuk gegenüber. Es droht eine bewaffnete Auseinandersetzung. Hintergrund ist ein Gebietsstreit, der sich vor allem um die Ölstadt Kirkuk dreht.
Auch die Sunniten marschieren gegen Maliki auf. In der westirakischen Provinz Anbar demonstrieren seit Tagen mehrere Tausend gegen die schiitisch dominierte Regierung und fordern in Sprechgesängen und auf Bannern Malikis Rücktritt. Hintergrund des Protests sind diverse Festnahmen sunnitischer Politiker durch Sicherheitskräfte, die Maliki unterstellt sind.
Rückkehr der Al-Kaida
Nach Angaben irakischer Offizieller verstärkte Al-Kaida seitdem seine Aktivitäten im Irak. In Anbar habe die Gruppe erneut Trainingslager aufgebaut. Die Anzahl der Kämpfer habe sich mit jetzt 2500 binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Maliki scheint die Brisanz der Lage erkannt zu haben. Einerseits erfüllte er am Dienstag eine andere zentrale Forderung der Demonstranten und versprach die Freilassung von mehr als 700 inhaftierten Frauen (210 Terrorverdächtige sollen aber in Haft bleiben). Andererseits stellte er vorgezogene Neuwahlen im April in Aussicht. An einen Rücktritt denke er aber nicht, ließ er ausrichten.