Die lange Odyssee eines Uiguren. | China beharrte auf Auslieferung. | Stockholm. Äußerlich ruhig und mit sanfter Stimme legt er detailliert dar, wie er in seiner früheren Heimat, in Chinas Xinjiang-Provinz, dreimal verhaftet wurde, ruhig beschreibt er die Folter, die er dabei erdulden musste. Er heißt Adil Hakimjan und gehört zu Chinas turk-sprechender muslimischer Minderheit, den Uiguren.
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Und es war die "brutale Unterdrückung der ethnischen Uiguren", wie dies Amnesty International kürzlich formuliert hat, die am Beginn seiner Reise stand, einer Reise, die Hakimjan bis nach Guantanamo führte.
Seine Route führte ihn über drei Kontinente und schließlich nach Schweden. Hier bekam Hakimjan im Februar politisches Asyl, vermutlich als erster Ex-Guantanamo-Häftling in der EU. Aber seine Odyssee begann schon ein Jahrzehnt zuvor.
Im November 1999 waren seine beiden Schwager schon im Gefängnis gestorben und Hakimjan machte sich allein auf nach Kirgistan, wo er später Frau und Kinder nachholen und sich mit ihnen ansiedeln wollte. Aber China sieht sich selbst in einem Kampf um "territoriale Integrität" - und zu dessen Opfern zählten bald Hakimjans Hoffnungen.
Angesichts der vielen ethnischen Gruppen in China werden dort "Spalter" scharf verurteilt, wie jene Gruppen bezeichnet werden, die - wie Uiguren und Tibeter - Autonomie anstreben. Nach dem 11. September 2001 wurden die Spalter oft in Terroristen umbenannt, wobei laut Amnesty die Uiguren "die einzige Gruppe in China sind, die wegen politischer Verbrechen, wie ,separatistischer Aktivitäten', zum Tode verurteilt und exekutiert" werden. Zhou Lulu, Pressereferentin an der chinesischen Botschaft in Stockholm, erläutert dazu: "Keine Regierung will die Zersplitterung ihres eigenen Staates."
Kopfgeld in Tora Bora
Amnesty berichtet, dass mehrere Uiguren zur Heimkehr gezwungen wurden, und Hakimjan erzählt, wie die Nachbarstaaten Chinas entsprechend dieser Politik zunehmend unfreundlicher wurden. Für ihn bedeutete das, dass sich während seiner eineinhalb Jahre Aufenthalt die Bedingungen in Kirgistan verschlechterten und Uiguren "verhaftet und nach China zurückgebracht" wurden. Also brachen er und ein Freund im Juli 2001 in die Türkei auf, wo sie hofften, in einer Lederfabrik bei Istanbul Arbeit zu finden. Auf dem Weg dahin ersuchten sie in Pakistan um Durchreisepapiere für den Iran, in einem von Uiguren bewohnten Dorf in Afghanistan wollten sie auf deren Eintreffen warten.
Das Dorf lag in dem Gebiet von Tora Bora, jener Region, wo Osama bin Laden Monate später gesucht werden sollte. Dort waren sie noch, als im Dezember 2001 die Siedlung im Zuge des Afghanistan-Krieges bombardiert wurde und die Einwohner nach Pakistan flohen.
Von Kuba nach Albanien
Zu dieser Zeit boten die USA 5000 Dollar für jeden Terroristen, was dazu führte, dass Kopfgeldjäger sehr bald die Uiguren gefangen nahmen und verkauften. Im Jänner wurden sie in US-Haft nach Kandahar überstellt, wo ihre ganze Gruppe, wie Hakimjan sagt, aus dem Flugzeug auf die Landebahn geworfen und dann "geschlagen und getreten" wurde. Weitere Schläge folgten in dieser Nacht, aber danach "war es okay, außer vor einer Befragung", erinnert sich Hakimjan.
In Kandahar sei ihnen von den US-Streitkräften schließlich mitgeteilt worden, dass sie von den Vorwürfen freigesprochen worden seien, aber "nur höhere Autoritäten uns freilassen könnten". Im Juni 2002 wurden sie nach Guantanamo überstellt. Dort wurde Hakimjan "Gefangener 293", der das Gefühl hatte sich zu "verflüchtigen und langsam aus der Welt zu verschwinden". Erst im März 2005, fast drei Jahre später, wurde Hakimjan (wie heute alle Uiguren) offiziell vom Vorwurf freigesprochen, ein feindlicher Kämpfer zu sein.
Im Mai 2006 wurden er und vier weitere Uiguren mit verbundenen Augen und gefesselt unter schwerer Bewachung nach Albanien geflogen, das einzige Land außer China, dass bereit war, sie aufzunehmen. Wenig später besuchte US-Präsident George W. Bush Albanien. Es gibt Spekulationen, dass der plötzliche Transfer der Uiguren erfolgte, um eine Anhörung vor einem US-Bundesgericht zu vermeiden, die wenige Tage später angesetzt gewesen war. Dort wäre es um die Freilassung der Uiguren gegangen, was ihre Einreise in die USA ermöglicht hätte. Hakimjans US-Anwalt Sabin Willet bemerkt zu dem zeitlichen Zusammentreffen: "Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war."
Uigurische Terroristen?
Im November 2007 kam Hakimjan schließlich in Schweden an, wo eine Schwester von ihm lebt und eine kleine uigurische Gemeinde existiert. Er suchte um politisches Asyl an, dass ihm im Februar gewährt wurde, auch wenn manche meinen, das hätte nicht geschehen sollen.
Laut Presseattaché Zhou Lulu fordert China Hakimjan und die anderen Uiguren "für einen fairen Prozess" zurück - in Chinas Augen sind sie mutmaßliche heimische Terroristen. Im Gegensatz dazu plant die Regierung von Barack Obama, sieben der verbliebenen Guantanamo-Uiguren in den USA aufzunehmen, um so die Europäer zu einer ähnlichen Aktion zu ermuntern, wie die "Los Angeles Times" kürzlich schrieb.
Nach Chinas Ansicht gehören alle Uiguren, die von den USA inhaftiert wurden, der Islamischen Bewegung Ostturkestans (Etim) an, einer Organisation, die das US-Außenministerium 2002 auf die Liste der terroristischen Gruppen setzte. An der Darstellung der Chinesen bestehen allerdings Zweifel.
Dru C. Gladney, weithin anerkannter Uiguren-Experte aus Kalifornien, erläuterte jüngst im "Christian Science Monitor", dass fast niemand von der Etim gehört habe, ehe sie von China als substantielle Bedrohung dargestellt worden sei. Er strich heraus, dass der Schwall von Informationen zur Etim "auf chinesische Quellen zurückgeht", was seiner Meinung nach "eine wirkliche Glaubwürdigkeitslücke öffnet". Und er fügte hinzu, dass manche glauben, dass Etim zum Teil einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen USA und China gemacht wurde, bei der China den US-"Krieg gegen den Terror" unterstützt und im Gegenzug die USA die Etim als Terrororganisation einstufen.
US-Sanktionen
Erst vergangene Woche hat das US-Finanzministerium mitgeteilt, dass die US-Regierung gegen den Anführer der Etim, Abdullah Hakh, finanzielle Sanktionen ausgesprochen hat. In der Begründung hieß es, Hakh habe zusammen mit seiner Terrororganisation die Al Kaida unterstützt und Terroraktivitäten gegen China verübt. Der stellvertretende US-Finanzminister und Zuständige für Anti-Terror-Angelegenheiten, Stuart Levey, teilte dazu mit, während der Olympischen Spiele 2008 in Peking habe die Etim unter der Leitung von Hakh Terrorakte durchgeführt. Die US-Regierung verurteile diese brutalen Terroristen und werde sie vom Zugang zum internationalen Finanzsystem isolieren.
China macht Druck
Offenbar erschien der schwedischen Einwanderungsbehörde Adil Hakimjan ähnlich suspekt - denn sie erhob gegen die Entscheidung des Asylgerichtshofes, ihn als politischen Flüchtling anzuerkennen, Einspruch. Der Berufungssenat des Asylgerichts folgte ihren Argumenten aber nicht: Erst diesen Mittwoch wurde das Asyl bestätigt. Schon im Dezember hatte sich herausgestellt, dass China heimlich Druck auf die schwedische Regierung im Fall dieses Uiguren ausgeübt hat. Sten De Geer, Hakimjans schwedischer Anwalt, glaubt, dass "die Warnung der chinesischen Botschaft an Schweden, Adil Asyl zu gewähren, den Eifer und die Anstrengungen der Einwanderungsbehörde erklärt hat, Adils Abschiebung sicherzustellen". Mikael Ribbenvik, Direktor der Behörde, dementiert hingegen jeden Einfluss.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Guantanamo-Debatte interessiert der Fall auch Straßburg. Thomas Hammarberg, Kommissar für Menschenrechte des Europarates, erklärte dazu gegenüber der "Wiener Zeitung", dass "Einmischung in ein juristisches Verfahren eines anderen Landes unangemessen und nicht akzeptabel" ist. "Solche Aktionen der chinesischen Behörden unterstreichen die Bedeutung des Asyls für Adil Hakimjan", meint Hammarberg.