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Der Union wird ein Mangel an Kanten vorgeworfen. | SPD bekämpft und umwirbt die FDP. | Grüne müssen aufpassen, die Linke kann dreinschlagen. | Berlin. Die Ausgangspositionen der fünf großen werbenden Parteien bei der deutschen Bundestagswahl am 27. September sind ebenso unterschiedlich wie ihre Programme.
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Und auch in der Art, wie sie den Wahlkampf führen, unterscheiden sich Union, SPD, Grüne, Linke und FDP deutlich voneinander. Während die einen vorsichtig agieren müssen, brauchen andere keine Rücksicht zu nehmen und können munter dreinschlagen.
CDU: Nur nicht anecken
Die Christlich Demokratische Union setzt - im Unterschied zur Wahl im Jahr 2005 - auf möglichst wenig Auseinandersetzung, wenig Kampf, keine Angriffe, wenig Konturen und Kanten. "Kuschel-", "Watte-" oder "Nebelwahlkampf" werfen ihr die Kritiker vor. Angela Merkels Gegner bezichtigen die Kanzlerin sogar "demokratieschädlichen Verhaltens", hätten doch die Wähler ein Anrecht auf klare Wahlkampfaussagen, um rational zu entscheiden.
Dabei verhält sich die CDU völlig rational. Angela Merkel erinnert sich nur zu gut an die Wahlbewegung von vor vier Jahren, als sie mit dem Wirtschafts-As Paul Kirchhof einen klaren Kurs radikaler Steuervereinfachungen und rigorosen Subventionsabbau signalisierte. Damit hatte sie dem Kämpfer-Duo Schröder-Müntefering die offene Flanke geboten, die das Klischee der sozial kalten CDU so geschickt nutzte, dass ihr Riesenvorsprung innerhalb von Wochen auf 6000 Stimmen zusammenschmolz. Ein zweites Mal wollte sie dieses Risiko keinesfalls eingehen.
Außerdem wuchert die CDU zu Recht mit ihrem größten Pfund, der Beliebtheit ihrer Spitzenkandidatin und Kanzlerin. Sie hat gezeigt, dass sie im Auftreten feminin und in der Sache hart sein kann - national wie international. Folgerichtig plakatiert man ihr Konterfei mit dem Slogan "Wir haben die Kraft".
Quasi über den Niederungen der Tagespolitik schwebend, vermeidet sie jeden direkten Angriff auf ihren Herausforderer, ja selbst die SPD als Ganzes wird von ihr geschont. Dies scheinen die Wähler zu honorieren, weil die CDU ihre Zustimmungsrate im Gegensatz zur vorigen Wahl praktisch konstant gehalten hat. Weit vorgewagt hat sie sich hingegen bei der Koalitionsfrage: Sie will die Regierungsarbeit mit der SPD beenden und stattdessen mit der FDP fortführen.
SPD mit alter Strategie
Für die Sozialdemokraten ist die Ausgangslage weitaus schwieriger. Man hat nicht nur seit elf Jahren durchregiert, sondern die letzten vier Jahre auch noch mit der Union koaliert. Man kann also das Regierungshandeln nicht in Grund und Boden verdammen, jeder Angriff wäre ein Bumerang. Zwar versucht die SPD, Ziele zu beschreiben, die sie mit der CDU nicht verwirklichen konnte - doch das ist in einer solchen Wahlbewegung nicht kommunizierbar weil viel zu kompliziert.
SPD-Chef Franz Müntefering versucht deshalb, die Strategie des Jahres 2005 zu wiederholen. Und weil er diesmal keinen Professor Kirchhof als Zielscheibe hat, muss eben die wirtschaftsliberale FDP herhalten. Kanzlerkandidat Frank- Walter Steinmeier und er warnen vor der sozialen Kälte einer schwarz-gelben Koalition. Doch auch diese Variante hat ihre engen Grenzen. Sollte es nämlich für Schwarz-Gelb nicht reichen, strebt die SPD ja eine sogenannte "Ampel", also ein Bündnis mit den Grünen und - tja, genau dieser "eiskalten" FDP an. Die FDP gleichzeitig verteufeln und umwerben, dieser Spagat belastet das Endspiel der SPD im Wahlkampf.
Grüne: Ökologie-Thema
Auch die Grünen haben das Handikap, dass sie nach jahrelanger Regierungsbeteiligung nicht alles und jedes angreifen können, was die Regierung in der letzten Legislaturperiode getan hat. Denn vieles war nur eine Fortführung dessen, was Bündnis 90/Die Grünen in die Wege geleitet haben. Zum Beispiel Hartz IV oder den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.
Deshalb konzentriert sich das Team um Renate Künast, Claudia Roth und Fritz Kuhn auf die Kritik am schleppenden "ökologischen Umbau". Der Ausstieg aus der Atomkraft und die Förderung alternativer Energien sowie die engere Verzahnung von Wirtschaft und Umweltschutz sei ohne Elan von der Regierung betrieben worden und damit ins Stocken geraten. Damit sind die Grünen bisher ganz gut gefahren, wie ihre Erfolge bei den Landtagswahlen gezeigt haben. Direkte Rückschlüsse auf die Bundestagswahl sind allerdings voreilig.
Dass auch bei den ehemaligen Alternativen die Töne diesmal etwas leiser ausfallen, liegt wohl daran, dass man den Wunschpartner SPD nicht allzu sehr vergraulen will.
Die Linke ist aggressiv
Als einzige Partei kann die Linke mit dem Führungsduo Oskar Lafontaine und Gregor Gysi von Herzenslust dreinschlagen. Erstens ist ihre Regierungsbeteiligung nach dem 27. September eher unwahrscheinlich; die Gefahr, einen künftigen Regierungspartner zu verprellen, geht also gegen null. Zweitens ist Verbal-Radikalität ohnehin eines ihrer Markenzeichen, das sie zur Sammlung der Zornigen, Verzweifelten und Rebellierenden nutzt. Und drittens hat sie in der Tat einige Gegenpositionen zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien: Nato-Ausstieg, sofortiger Abzug aus Afghanistan, Abschaffung der Hartz-Gesetze.
Ihre Strategie zielt darauf ab, der SPD und den Grünen Wähler am linken Rand abzujagen. Als Prüfstein eignet sich hier die Union. Wer einen "Politikwechsel" wolle, müsse sich angesichts der Wählermeinungen nolens volens für ein Dreierbündnis mit der Linkspartei entscheiden. Ohne sie werde es zwangsläufig wieder einen schwarzen Regierungschef geben. Damit bringt sie die beiden Konkurrenten auf dem linken Spektrum gehörig ins Schwitzen.
FDP im Glückstaumel
Die FDP schwimmt derzeit auf einer unverhofften Glückswelle. Von Wahlerfolg zu Wahlerfolg wird ihr Gewicht innerhalb des bürgerlichen Lagers größer. So kann Guido Westerwelle selbstbewusst auftreten und die Union argumentativ vor sich hertreiben. Sorge bereiten ihm allerdings die jüngsten Umfrageergebnisse, die zumindest offen lassen, dass er zwar bei der Wahl gut abschneiden, bei der Regierungsbildung aber leer ausgehen wird. Westerwelle muss konsequenterweise vor einer Fortsetzung der großen Koalition warnen. Den Kampf gegen Rot-Rot-Grün kann er getrost der Union überlassen.
Allerdings hat sich die FDP ein Hintertürchen offen gelassen. Ihr Wunschpartner sei zwar die Union, lautet die Formel, aber wenn sich daraus keine regierungsfähige Mehrheit bilden lässt, wolle man sich nicht auf nur eine Variante festlegen.