Koalitionspakt sieht Reform des Arbeitsrechts vor. | Sozialpartner mit unterschiedlichen Vorstellungen. | Wien. Es gibt kaum einen Rechtsbereich, der unübersichtlicher und zersplitterter ist als das Arbeitsrecht. Selbst Experten sind sich nicht immer sicher, wo welche konkreten Regelungen zu finden sind.
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Die Regierung hat daher im Koalitionsprogramm vereinbart, das Arbeitsrecht neu zu kodifizieren - also zu vereinheitlichen und übersichtlicher zu gestalten. Das allein wäre schon angesichts der umfassenden Materie ein juristisches Monsterprojekt. Es soll aber dabei nicht nur darum gehen, bestehende Gesetze verständlicher zu formulieren, es soll auch zu inhaltlichen Änderungen kommen. Was diese betrifft, sind die Sozialpartner aufgefordert, bis Jahresende Vorschläge zu machen.
Die Gewerkschaft hat ihre Vorstellungen bereits in einem Grundsatzbeschluss abgesegnet; in der Wirtschaftskammer stehen die diesbezüglichen Diskussionen erst am Anfang. Dennoch kristallisieren sich bereits jene Kernbereiche heraus, um die es bei der Reform des Arbeitsrechts gehen wird.
Das absolute Herzstück soll die Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmer-Begriffs sein. So merkwürdig das für Nicht-Juristen klingt: Den Arbeitnehmer an sich gibt es rein rechtlich nicht. Stattdessen gibt es verschiedene Begriffe wie zum Beispiel Arbeiter und Angestellte, an die unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen - etwa bei Kündigungsfristen, Entlassungsgründen oder bei der Entgelt-Fortzahlung im Krankheitsfall.
Freie Dienstnehmer
als Arbeitnehmer?
Als wäre das noch nicht kompliziert genug, gibt es abgesehen von Arbeitern und Angestellten noch eine Unzahl an Sondergesetzen für diverse Berufe wie etwa Schauspieler, Journalisten, Bäckereiarbeiter oder Hausgehilfinnen, und Sonderregelungen für einzelne Bereiche der Arbeitswelt wie etwa das Urlaubsgesetz.
Sowohl ÖGB als auch Wirtschaftskammer können einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff etwas abgewinnen. Was alles unter diesen Begriff fallen soll, darüber gibt es allerdings gewaltige Auffassungsunterschiede.
Die Gewerkschaft will naturgemäß, dass bei der Vereinheitlichung des Arbeiter- und Angestellten-Begriffes jeweils die für den Arbeitnehmer günstigeren Regeln übernommen werden. Die Wirtschaftskammer geht eher davon aus, dass man sich bei der Angleichung von Rechten irgendwo in der Mitte treffen muss.
Darüber hinaus will die Gewerkschaft, dass auch die sogenannten neuen Dienstverhältnisse (also beispielsweise freie Dienstnehmer) unter den einheitlichen Arbeitnehmerbegriff fallen. Wer persönlich oder wirtschaftlich abhängig von einem Auftraggeber ist, soll dadurch den vollen Schutz des Arbeitsrechts genießen, sagt Bernhard Achitz, der Leiter der ÖGB-Sozialabteilung. Ausnahmen soll es nur geben, wenn jemand zur Erfüllung seiner Arbeitsleistung unternehmerische Strukturen nutzt und erhebliche unternehmerische Entscheidungsfreiheit hat. So soll nach Ansicht der Gewerkschaft der Scheinselbständigkeit ein Riegel vorgeschoben werden.
Dass die freien Dienstnehmer unter das Arbeitsrecht fallen, kann man sich in der Wirtschaftskammer hingegen nicht vorstellen. Martin Gleitsmann, der Leiter der sozialpolitischen Abteilung in der WKO, verweist auf die zusätzlichen Kosten, die das verursachen würde: "Jeder Angleichungsschritt muss aufkommensneutral sein."
Öffentlich Bedienstete als Arbeitnehmer?
Ganz einheitlich sieht die Gewerkschaft die neuen Arbeitnehmer freilich auch nicht. Nachdem der ÖGB-Bundesvorstand den Antrag zum einheitlichen Arbeitnehmerbegriff angenommen hatte, hat die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst nachträglich noch eine Klarstellung durchgesetzt. In dieser "authentischen Interpretation des einheitlichen ArbeitnehmerInnenbegriffs" wird erklärt, dass Vertragsbedienstete im öffentlichen Dienst jedenfalls nicht davon erfasst werden sollen. Für sie soll - ebenso wie für Beamte - weiterhin ein eigenes Dienstrecht gelten. Auch diesem Punkt kann die WKO wenig abgewinnen: "Warum soll zwischen öffentlichen und privaten Arbeitnehmern unterschieden werden?", fragt Gleitsmann.
Arbeiter und Angestelltenbetriebsrat
Ein weiterer, potenzieller Konfliktpunkt ist das sogenannte Arbeitsverfassungsgesetz. In diesem werden die Beziehungen zwischen den Organen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft geregelt. Würde man auch hier einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff einführen, wäre das das Ende für getrennte Arbeiter- und Angestellten-Betriebsräte. In weiterer Folge würden auch ganze Teilgewerkschaften - etwa die GPA - ihre Existenzberechtigung verlieren.
Wenig verwunderlich also, dass der ÖGB im Arbeitsverfassungsgesetz eine Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten strikt beibehalten will. Genauso wenig verwunderlich ist, dass die WKO das anders sieht.
Bei den Sondergesetzen hingegen herrscht Übereinstimmung, dass sie zumindest für bestimmte Berufe wohl weiter notwendig sein werden. Für welche, wollen die Sozialpartner aber erst überprüfen.
Auch im Kabinett von Wirtschafts-Staatssekretärin Christine Marek hat man ein Anliegen: ein einheitliches Arbeitsvertragsrecht, in dem klar festgelegt wird, welche Dinge in einem Arbeitsvertrag (Abfertigung, Urlaubsanspruch, Rechte und Pflichten) enthalten sein müssen.
Der lange Weg zur Reform
Wie gewaltig das Vorhaben der Neu-Kodifikation des Arbeitsrechts ist, zeigt ein Blick in die Geschichte: Diesbezügliche Bemühungen gibt es nämlich nicht erst seit Jahren, sondern sie haben bereits jahrzehntelange Tradition.
Schon die Regierungserklärungen der Jahre 1956 und 1959 enthielten das Vorhaben einer Kodifikation des Arbeitsrechts. 1960 und 1962 wurden erste Gesetzesentwürfe vorgelegt, aber nie beschlossen.
1966 beschloss die Regierung sogar, eine eigene Kodifizierungskommission einzusetzen. Nach jahrelangen Bemühungen gelang es 1974 immerhin, das kollektive Arbeitsrecht (im Gegensatz zum Individualarbeitsrecht) im Arbeitsverfassungsgesetz zu kodifizieren.
Im Individualarbeitsrecht gab es jedoch immer nur Teilerfolge. 1976 wurde beispielsweise der Bereich Urlaub erstmals in einem einheitlichen Gesetz, dem Urlaubsgesetz, zusammengefasst.
Der bisher letzte Anlauf erfolgte im Jahr 1998 mit dem Entwurf eines Arbeitsverhältnisgesetzes, das jedoch nie beschlossen wurde.
Lesen Sie auch:
"Mazal: Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten verfassungswidrig": http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3858&Alias=wzo&cob=292542