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Ein kalter Hauch in Ostsibirien

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Zweitägiges Halbjahrestreffen. | Liste der Streitpunkte wird länger. | Russen schotten ihre Wirtschaft ab. | Brüssel/Kabarovsk. In die schier endlosen Weiten Sibiriens verschlägt es den tschechischen Premier und amtierenden EU-Vorsitzenden Jan Fischer sowie eine hochrangige Delegation der EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jose Manuel Barroso.


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Gut 8000 Kilometer von Brüssel entfernt treffen sie Donnerstag und Freitag den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zum halbjährlichen EU-Russland-Gipfel.

Auch wenn alle Seiten die "routinierten" und - den Umständen entsprechend - guten Beziehungen betonen, werden keine großen Fortschritte in den Beziehungen der beiden wichtigen Partner erwartet. Die Liste der Streitpunkte werde immer länger, meinte ein Diplomat.

Einen wichtigen Knackpunkt sehen EU-Vertreter vor allem in offenbar massiv auftretenden Marktabschottungsmaßnahmen der Russen im Fahrwasser der globalen Wirtschaftskrise. So seien die Einfuhrabgaben für eine Reihe von Produkten, von Autos über Erntemaschinen und Stahl bis zu landwirtschaftlichen Erzeugnissen, zum Teil empfindlich in die Höhe gefahren worden, hieß es in Kommissionskreisen.

Bei der Ausarbeitung eines neuen Partnerschaftsabkommens und Bestrebungen für eine zuverlässige Kooperation am Energiesektor werden keine Durchbrüche erwartet. Wie immer schweben Sorgen um die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit über dem Treffen. Noch frisch ist die Erinnerung an das gewaltsame Vorgehen der russischen Sonderpolizei Omon gegen ein paar Handvoll demonstrierende Homosexuelle letzten Samstag im Umfeld des Eurovision-Song-Contests.

Ringen um Geld für Überflugrechte

Nur als ein Punkt unter vielen steht die Nachbearbeitung des Georgienkriegs vom Vorjahr am Programm. Dass die Russen die abtrünnigen Regionen Süd-Ossetien und Abchasien in absehbarer Zeit aufgeben, erwartet niemand.

Wie gering die Hoffung über echte Verhandlungserfolge mit Russland in Wahrheit sein dürften, illustriert das ewige Ringen um die Millionenzahlungen für Überflugsrechte über Sibirien - obwohl deren schrittweises Auslaufen bereits beim EU-Russland-Gipfel in Helsinki im November 2006 vereinbart worden war. Allein 2008 mussten die EU-Airlines nach Kommissionsangaben für ihre Flüge nach Japan, China und Hongkong fast 320 Millionen Euro an den russischen Konkurrenten Aeroflot überweisen - also rund 900.000 Euro pro Tag und damit deutlich mehr als noch vor drei Jahren.

"Die Russen sind offensichtlich nicht daran interessiert, diese Einkommensquelle aufzugeben", sagte David Henderson vom Verband der Europäischen Fluglinien AEA. "Wenn wir mit der Aeroflot sprechen, sagen sie, wir müssen uns an die Regierung wenden. Sprechen wir mit der Regierung, sagt sie, das sei Angelegenheit der Aeroflot", skizziert er die russische Verhandlungsführung.

In Kommissionskreisen hieß es zu der verfahrenen Angelegenheit bloß: Das Gipfeltreffen in den Weiten Sibiriens sei "ein guter Rahmen, um das Thema anzusprechen."